Aki Kaurismäki, 2004

“I HIRED A CONTRACT KILLER”

warum denn eigentlich “I”?

“Henri Boulanger will sterben, aus Gründen, die zu persönlich sind, um hier erörtert zu werden. Da seine Versuche, seinem Leben ein Ende zu setzen, scheitern, heuert er schließlich einen Profikiller an, der ihn in den Amtshimmel befördern soll. Während er auf eine Ausführung des Auftrags wartet, macht Henri jedoch den Fehler, zum ersten Mal in seinem Leben einen Whisky zu trinken, und findet den Mut, dem anderen Geschlecht ins Auge zu blicken, auch dies zum ersten Mal. Nun stünde einer Familiengründung nichts mehr im Wege, aber leider läßt sich der Vertrag des Killers nicht kündigen. Das Leben ist hart, aber lustig.”
So hat Aki Kaurismäki seinen Film zusammengefaßt.
Der “Contract Killer” wurde 1990 in Venedig zum ersten Mal gezeigt. Ein oder zwei Jahre später bin ich in einem Londoner Pub, in einer Querstraße der Old Compton Road, auf Aki Kaurismäki getroffen. Andy Engel, dem in London einige Kinos und der Filmverleih Artificial Eye gehören, hat uns vorgestellt. Ich hatte Andys bislang einzigen Film “Melancholia” geschnitten, einen langsamen, slicken aber traurigen Thriller, der 1989 in der Quinzeine in Cannes lief und arbeitete gerade an der Idee zu meinem ersten langen Film. Es war am frühen Abend, der Pub wurde immer voller und wir tranken Bier vom Faß. Andy Engel hat schulterlange Haare, einen Schnauzbart, wache große Augen und man sieht Andy an, daß er viel ißt und noch mehr trinkt. Wie ein finnischer Schauspieler eigentlich, nur rauchen tut er nicht. Nach dem ersten Bier hat er dann Kaurismäki erzählt, daß ich bald einen Film machen würde, der nicht mal 100.000 Pfund kosten würde. Aki Kaurismäki hatte damals noch längere Haare, unfaßbare Augenringe, immer eine brennende Zigarette in der Hand, einen kleinen Bierbauch, sah aber irgendwie wahnsinnig cool aus in seiner Lederjacke. Er schaute mich wenig beeindruckt an, die fettigen Haare hingen ihm ins Gesicht und seine Augen flitzten zwischen Andy und mir hin und her: “I do it for half the money.” Andy Engel freute sich und so ging es weiter. Er mache es billiger und viel schneller und trinken könne er sowieso am meisten. Es war unglaublich lustig, er erzählte von der Arri BL, die er mit seinem Bruder Mika Ingmar Bergman abgekauft hat und daß eigentlich jeder für ihn umsonst arbeiten würde, jeder.

“Le corps d’Aki”, Jean-Michel Frodon beschreibt in der Dezember Ausgabe von Cahier de Cinema eine Cannes-Pressekonferenz, die zum Bonusmaterial der Arte-DVD-Box gehört. Man müsse die Filme von Aki Kaurismäki unbedingt nochmal anschauen, so Frodon, nachdem man diese Präsenz, diesen Körper, dieses von radikaler Auflehnung zeugende Gesicht, die Haut, die Stimme, den Blick, die Stämmigkeit, die Langsamkeit und Schnelligkeit der Gesten erstmal gesehen hätte.

I like her early stuff. You know, “Lucky Star,” “Borderline” – but once she got into her “Papa Don’t Preach” phase, I don’t know, I tuned out.” Mr.Blue in “Reservoir Dogs”, das war Anfang der 90-er Jahre. Massive Attack gewannen mit ihrer ersten Platte “Blue Lines” sämtliche Brit Awards und Kraftwerk brachte “The Mix” heraus. Nicht unbedingt die Zeit in der Kaurismäki-Filme ganz oben auf meiner Liste standen. Ich war auch nie der Meinung, daß früher alles besser war, ganz im Gegenteil eigentlich. Er machte für mich die Filme mit den Leuten mit den lustigen Frisuren, finnländischer Tango jaja, die Studenten lachten sich dann im Forum der Berlinale kaputt, über die alten Helme, die spitzen Schuhe, die amerikanischen Limousinen im Schnee und über die Musiktruhen und Olavi Virtas “Somewhere over the rainbow is a place…” Die Trilogie der Verlierer, der Arbeiter, ach herrje, wie rührend… Kaurismäki der Offkino-Geheimtip, immer auf der richtigen, auf der irgendwie organischen Seite, “postmodern verstehe ich nicht”, alles “Kunstscheisse”, “Godardfilme schaue ich nur bis…”, Lieblingswort: “pseudo”, und die ewig müden Filmzitate. “Witzig” nannten die Kritiker das dann immer, nicht lustig oder komisch. Auch der “Contract Killer” hatte das Prädikat “witzig” und es hat ein paar Jahre gedauert bis ich mich da reintraute und schließlich merkte, daß Aki Kaurismäki die blöde Nische in die er immer gestellt wird, ganz und gar nicht verdient hat. Er ist viel besser als dieses Keke Rossberg-melancholischer Verlierer-Getue.

Trendy wendys you know what i mean / Hangin’ around with the girl who’s rolling up her jeans / She watches her street cred’cause she’s no dummy” Massive Attack, Five Men Army.

1991 ist bei Haffmanns das Drehbuch zu “I Hired a Contract Killer” (…oder Wie feuere ich meinen Mörder) mit dem 1990 von Bruno Fornara und Francesco Bono geführten Interview  “Jetzt habe ich zuviel geredet… und zuviel geraucht” erschienen. Der Rückseite des einem frühen Ullstein “K” Krimi nachempfundenen Umschlags ist auch das erste Zitat oben entnommen. Vorangestellt ist ein kurzer Text “Anmerkungen zum Selbstmitleid eines Drehbuchautors” verfaßt Ende September 1990 auf der Fähre GTS Finnjet, Helsinki-Travemünde, in dem Aki Kaurismäki möglichst leidenschaftslos beschreibt um “welch qualvollen Schaffensprozeß es sich gehandelt hat.” Die Idee des Films “geht zurück auf ein Blatt Papier, das Peter von Bagh (ein finnischer Filmkritiker) vor zwei Jahren in unserem Büro gelassen hat… nämlich, daß ein Mann einen Killer anheuert, der ihn umbringen soll, er es sich jedoch anders überlegt. Die Dreharbeiten eines Films, die es an Langeweile durchaus…”

Außen/Innen. Londoner Wasserwerke: Registratur. Tag.

Triste Straßenszenen im Herzen Londons. An der Mauer neben dem Haupteingang der Wasserwerke prangt…”
Der Anfang des Drehbuchs.
Henri Boulanger, ein Franzose, gespielt von Jean Pierre Léaud, arbeitet seit fast 15 Jahren in den königlichen Wasserwerken und wird nach deren Privatisierung gekündigt. Tatsächlich wurden die englischen Wasserbehörden (RWAs) 1988 von der Thatcher-Regierung privatisiert. Vier Jahre später war Wasser um 50% teurer, die Einkünfte der Manager stiegen zwischen 50% und 200%, die zehn Unternehmen selbst wurden nach einer Sperrfrist von den Konzernen Suez, Vivendi und RWE geschluckt. Mit den Preisen stieg auch die Anzahl der Haushalte denen das Wasser abgestellt wurde in fünf Jahren um das dreifache, 1994 waren es dann fast 20000. Daraufhin wurde den zahlungsschwachen Haushalten “pre-payment meters” installiert, die nur Wasser lieferten wenn der Verbraucher Geld auf eine Plastikkarte geladen hatte. Bis 1996 wurden 16000 solcher Geräte angebracht. Erst 1999 verabschiedete die Blair-Regierung den “Water Industry Act”, der die “pre-payment meters” und das Abstellen des Wassers generell untersagt. Auf jeden Fall wird Henri Boulanger gefeuert, fristlos, wie alle anderen Ausländer auch. Er nimmt es hin, bekommt eine Uhr. Und dann will Henri sterben, “aus Gründen, die zu persönlich sind, um hier erörtert zu werden.” Doch als er sich erhängen will, bricht der Haken aus der Decke und in dem Augenblick, als er seinen Kopf in den Backofen steckt, streiken die Gaswerke. Henri heuert schließlich in einem Unterweltlokal einen Profi an, der den Job erledigen soll. Er ist erleichtert und seine zwei neuen Ganovenfreunde wollen darauf einen heben gehen. Henri: “Ich trinke nicht.” Pete: “Spielt das jetzt noch eine Rolle?”

Während er auf eine Ausführung des Auftrags wartet,…” fällt sein Blick auf den Pub gegenüber. Henri schreibt dem Killer eine Nachricht, klopft sie mit einem Riesenhammer an die Tür, wirft den Hammer weg und macht den Fehler “…zum ersten Mal in seinem Leben einen Whisky zu trinken, und findet den Mut, dem anderen Geschlecht ins Auge zu blicken, auch dies zum ersten Mal.” Henri verliebt sich in Margaret, die weißblonde Rosenverkäuferin, gespielt von Margi Clarke, die seine Zuneigung erwidert. Zum Abschied küßt sie ihn auf die Stirn. “Nun stünde einer Familiengründung nichts mehr im Wege, aber leider…” ist der ganze Häuserblock mitsamt dem Unterweltlokal abgerissen worden. Henri kann den Vertrag nicht kündigen und der Killer im Trenchcoat, sehr ruhig und erwachsen gespielt von Kenneth Colley, verschafft sich Zugang zu Margarets Wohnung. Sie kann ihn zwar nicht von seinem Auftrag abbringen: “Hören Sie… Er will nun doch nicht sterben…” Killer: “Keiner will das, aber sterben muß jeder” jedoch mit einer riesigen Blumenvase niederschlagen. Joe Strummer singt in einem Pub und Henri gerät in einen bewaffneten Banküberfall seiner Ganovenfreunde, ein Schuß fällt und er hat plötzlich die rauchende Pistole in der Hand. Die Überwachungskamera schwenkt langsam auf ihn. Henri taucht in Vics Imbißbude am Friedhof unter, wo Margaret ihn aufspüren kann. Sie schmieden einen Fluchtplan. Henri: “Willst du deine Heimat verlassen?” Margaret: “Die Arbeiterklasse hat keine Heimat.” Kurz danach taucht jedoch der Killer bei Vic auf, ein ruhiges Showdown. Henri: “Diesmal haben Sie gewonnen.” Killer: “Das glauben Sie. Das Leben ist eine Enttäuschung.” Er zieht langsam die Waffe aus der Manteltasche, richtet sie auf Henri und erschießt sich selbst. “Das Leben ist hart, aber lustig.” Am Ende steht Vic, der Besitzer der Imbißbude – gespielt von dem großen alten Serge Reggiani – in seiner Imbißbude, raucht und putzt seine Brille.

“I Hired a Contract Killer” war Aki Kaurismäkis erster außerhalb Finnlands gedrehter Film und in vielen Kritiken hieß es, London sehe trotzdem aus wie seine Heimat. Finde ich überhaupt nicht, viel eher erinnert der Film an die Michael Powell/Emeric Pressburger Filme, an “Peeping Tom”, besonders die Farben und das Licht, die Künstlichkeit, auch an Hitchcock, an “Vertigo”, Margarets fast weiße Haarfarbe, an “Torn Curtain”, die DDR-Farben und der Gasofen, das Licht von Fritz Langs “Scarlet Street”, auch die Uhr am Anfang. Von Beginn an sind alle Farben vorhanden, obwohl blau, grau und grün überwiegen, sind auch braunes Holz und rötliche Mauern im Bild, der Zeitungsverkäufer trägt ein rotes Hemd. Es wirkt sehr komponiert, aber wenig verkrampft, auch nicht eingefärbt, sondern die bewußte, schmucklose Künstlichkeit von Powell oder Hitchcock. Mit Margaret kommt mehr Farbe in den Film, viel Rot, ihre Kleider, die Rosen, ihre Wohnung.

Tja warum “I”? Weil Aki Kaurismäki “Ich” meint. Er hat ihn ja auch wirklich engagiert. Mit Jean Pierre Léaud hat er sich gleichzeitig einen Traum erfüllt, den Mann der Nouvelle Vague, den er irgendwie selbst schon mal gespielt hat, in “Der Lügner”. Kaurismäki ist einer der Super-Auteurs, die ihre Person immer wieder in die Geschichten und die Filmgeschichte verweben, vor, neben und in die eigene Arbeit treten. Ein Spiel, wie auch seine Interviews, die Pressekonferenzen und die Behauptung er habe nur Dostojewskijs “Schuld und Sühne” als Erstling gemacht, weil Hitchcock das Werk für zu schwierig hielt. Das hätte auch von Lars von Trier kommen können. Natürlich “I”. Wer denn sonst?

Der Titel steht unter dem Namen des Regisseurs.
Das Leben ist hart, aber lustig.”