Legislative Architecture Schweiz

GTA at the ETH Zürich curated by Fredi Fishli and Nils Olsen, 2016

Legislating Architecture Schweiz, 2016
HD Film
in collaboration with Arno Brandlhuber
duration: 50 minutes

 

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Legislative Architecture Schweiz
Arno Brandhuber, Antonia Steger & Christopher Roth
Edition by Patrick Frey, 2016

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Harry Potter ist nicht populistisch

Ein Skype-Gespräch zwischen Patrick Frey und Christopher Roth ein paar Tage nach den Anschlägen in Paris vom 13. November und John Olivers Sendung Paris Attacks vom 15. November 2015.

Christopher Roth: Es geht um Volksabstimmungen, deswegen habe ich dir den Text von Michel Houellebecq geschickt, und natürlich um Humor. Kurz nach den Anschlägen in Paris haben mich die lustigen Leute weniger genervt als jene, die ständig das Mantra unserer Freiheit und unserer Werte wiederholten. Also John Oliver …
Patrick Frey: … oder auch Helge Schneider. Das liegt wohl daran, dass kein Schwein wirklich weiss, was zu tun ist. Wenn John Oliver in seiner Sendung Paris Attacks den Krieg auf die Ebene der Delikatessen runterholt, dann ist das genial. Ein absoluter Nebenkriegsschauplatz. Gleichzeitig haben viele Leute, auch Houellebecq, diese Sehnsucht nach direkter Demokratie. Wir leben das hier! Für mich als Schweizer ist es normal, wenn man die Leute fragt: „Wollt ihr keine Minarette mehr?“, und sie antworten: „Nee.“ Und dann gibt’s keine Minarette mehr. In letzter Zeit wurden die Volksinitiativen, um die geht es ja vor allem, zunehmend als Wahlpropaganda missbraucht. Du stellst irgendeine provokative Forderung, und es gibt viele Reaktionen, es gibt unendlich viel Propaganda, und nachher klappt es bei der Umsetzung nicht. Ganz pragmatisch stehen die Exekutivpolitiker gerade vor riesigen Problemen, weil sie nicht umsetzen können, was das Volk will.
CR: Liegt das daran, wie die Frage gestellt wurde, oder ist die Gesetzgebung falsch?
PF: Du müsstest vor der Abstimmung die Umsetzbarkeit von Initiativen prüfen, die Kompatibilität mit den allgemeinen Menschenrechten und mit dem europäischen Recht. Initiativen werden auch abgewiesen, aber das ist ein heikler Punkt, weil die Populisten sofort sagen: „Ah ja, ihr verhindert, dass das Volk seine Stimme erheben kann, die classe politique filtert das schon vorher raus.“
CR: Jetzt wird es interessant. Ist denn Populismus unbedingt negativ, unbedingt rechts?
PF: Das Wort Populismus ist negativ besetzt, als Populist zielst du an allen parlamentarisch-demokratischen Instanzen vorbei direkt aufs Volk. Und wer ist das Volk?
CR: Ist Humor nicht auch populistisch?
PF: Ja, das gibt es auch. Du kennst doch Mario Barth …
CR: Ich sagte Humor. Žižek!
PF: Es gibt viele Leute, für die ist John Oliver überhaupt nicht lustig. Für die ist er ein linker …, ich weiss nicht was. Andererseits ist Oliver in einer gewissen Wertegemeinschaft ungeheuer populär. Aber populistisch meint ja, dass du die Volksmeinung erfühlst und dann gnadenlos bedienst. Die Leute wollen mehr Sicherheit, weil sie meinen, es gebe immer mehr Kriminalität, obschon die Statistiken dauernd nach unten weisen. Populismus ist ziemlich nahe an der Agitation. Du versuchst, die Leute zu mobilisieren – das ist auch ein schönes Wort –, was die Rechten natürlich viel besser beherrschen, zumindest in unserer Zeit.
CR: Sind bzw. waren Bertolt Brecht oder Slavoj Žižek Populisten?
PF: Nein, Brecht war Künstler, Intellektueller und ein politischer Theaterautor. Seine followers waren Kulturmenschen. Er war kein Held der Massen wie Rosa Luxemburg. Deshalb war er auch nicht populistisch. Ich glaube, es ist nicht dasselbe, wenn jemand Erfolg will oder wenn jemand Erfolg bei der breiten Masse hat. Die Autorin J. K. Rowling wäre sonst ja unglaublich populistisch, aber Harry Potter ist es nicht. Harry Potter ist populär.
CR: Brecht hat sich als Anwalt des Volkes verstanden. War der Chor nicht immer das Volk?
PF: Er hat es in Anspruch genommen …
CR: Und vereinfacht.
PF: Ja, das stimmt, er hat vereinfacht. Er hat populistische Mechanismen angewendet, trotzdem war er kein Populist. Ein Populist benutzt die Zeichen und die Protagonisten des Populären und instrumentalisiert sie, um Macht zu gewinnen. Ein Populist steigt auf Podien und mobilisiert die Massen. Beppe Grillo zum Beispiel war anfangs linker Kultur-Anarchist und ist mittlerweile ein eher rechtskonservativer Populist. Er verkauft jetzt sein eigenes Königreich. Bei Brecht ist es hingegen keine Propaganda, sondern eine simple Feststellung. Er sagt: „So ist es in Tat und Wahrheit draussen bei den Leuten.“ Das ist kein populistischer, sondern ein wahrer Satz, könnte man sagen. Wenn Žižek als Philosoph über die Wahrheit nachdenkt, ist das etwas anderes, als wenn rechte Populisten behaupten: „Ja, ja, wir sagen nur die Wahrheit. Das Volk will das und das.“ Und sie dem Volk vorgreifen und Positionen besetzen, die noch weitaus radikaler sind.
CR: So wie in Deutschland die CSU die AfD „beschleunigt“, und dann heisst es immer: „Wir müssen den rechten Rand abgreifen.“
PF: Für diesen Mechanismus steht das Wort Populismus jetzt seit ein paar Jahren: die populären Angst-Energien ausnutzen und Anwalt der schlimmsten Kräfte sein wollen. Es kommt darauf an, was man will. Houellebecq will ja nicht Präsident werden. Brecht wollte auch keine Macht, ausser vielleicht über Frauen oder das Publikum. Wenn du Houellebecq Macht anbieten würdest, würde er nein sagen. Ich glaube, auch Žižek will keine Macht. Selbst wenn sie scheinbar ähnliche Wahrheiten vertreten und ähnliche Forderungen stellen. Michel Houellebecq erwähnt das Volk, das sagt, wir wollten ja nie offene Grenzen, und die haben das missachtet. Ich glaube, das ist eine Art Polemik, weil zum Teil finden die Leute offene Grenzen ganz toll. Aber er will die Nomenklatura anklagen, dass sie mit den Kriegseinsätzen gröbste Fehler gemacht habe und das französische Volk nicht schützen könne, wenn etwas passiert.
CR: Ich glaube, ihn nerven die humanistischen Mantras. Es gibt diesen tollen Satz in Houellebecqs Unterwerfung, in dem der Protagonist sagt: „Ich weiss nicht, wovon mir gerade schlecht geworden ist, von den Teigtaschen oder dem Wort Humanismus.“
PF: Das ist die Polemik, die er seit Längerem anwendet, auch Žižek, das ist irgendwie kathartisch, das reinigt diesen ganzen Müll. Nach „Pray for Paris“ gab es das schöne „Don’t pray for Paris. We had enough religion“. Das bringt es auf den Punkt. Allerdings ist das „Gutmenschentum“ auch eine Floskel der Rechten, du kannst ja nicht behaupten, alle Leute, die eine bessere Welt wollen, seien Heuchler. Kennst du“Theatre of War“, die Kurzgeschichte von J. G. Ballard, wo nur noch in einem einzigen Land auf der ganzen Welt ein extremer Krieg herrscht, und dorthin werden alle Waffen geliefert? Wenn du reingehst, kommst du nicht mehr raus.
Ich glaube, wir haben so ein Gefühl, weit weg gibt es wahnsinnige Probleme, die wir mitverschulden, durch unser ungerechtfertigtes well being. Wir haben eine Art angestautes schlechtes Gewissen. Und dann knallt es irgendwo und wir sind fast erleichtert. Phantasmen. Es gab bei uns Linke, die haben gesagt: „Dann putzt doch endlich mal diese 50 000 IS-Kämpfer weg, und dann ist Ruhe! Entfernt endlich dieses Geschwür von der Erdoberfläche.“ Dieses Denken, dass der Krieg eine reinigende Wirkung habe, total im Jung’schen Sinne, man müsse es entfernen wie Krebs.
CR: Aktham Suliman, ein Journalist, der früher bei Al Jazeera war und jetzt hier in Berlin lebt, hat gestern gesagt, dass sich sehr viele Muslime im Internet mit Witzen gegen den IS wehren.
PF: Ah, da kommen wir zum Humor. Es gibt tatsächlich nichts Wirkungsvolleres, als über jemanden zu lachen, der Gewalt ausüben will. Natürlich kann es auch zu grösserer Aggressivität führen, aber die Wirkung ist enorm, wenn man über jemanden lacht, der ultimativ ernst ist. Das Einzige, was sie wollen, ist, ernst genommen zu werden.
CR: Ich habe auch noch nie einen Witz vonseiten des IS gehört, dass die Witze über andere machen würden.
PF: Nein, die machen keine Witze.
CR: Und Marine Le Pen, macht die Witze?
PF: Ich glaube, Marine Le Pen ist nicht ganz unlustig, die hat so eine Art Mutterwitz. Das Problem ist, wenn solche Leute Witze machen, dann sind die immer instrumentell. Ich habe noch nie von einem Politiker einen Witz gehört – vor allem nicht von diesen Saft-und-Kraft-Politikern, die auf der Seite des Volkes stehen –, der nicht den Charakter eines Werkzeugs oder einer Waffe gehabt hätte. Herrschaftswitze. Es ist sehr wichtig, wer die Witze macht: Von welcher Warte aus du sie machst ist das Entscheidende. Bei 9/11 dauerte es ganz lange, bis irgendein Witz auftauchte, und jetzt mit Paris ging es ganz, ganz schnell. Das ist auch eine neue Qualität von Leuten wie Oliver, die zugleich eine ernsthafte News-Sendung haben.
CR: Wie Jon Stewart …
PF: … den man noch ernster als irgendeine andere News-Sendung nehmen musste, und zugleich war er sehr lustig. Auf der einen Seite totales Engagement und eine Position beziehen und auf der anderen, sich lustig darüber machen. Die Geschichte mit den Delikatessen von John Oliver fängt sehr ernst an, und das ist grossartig, weil du nicht mehr sagen kannst: „Ja ja, macht ihr nur blöde Witze, ich finde das jetzt nicht angebracht.“ Die Witze sind so verpackt, dass sie sofort gemacht werden können: Instant-Witze.
CR: Zurück zu den Volksabstimmungen. Ich persönlich bin neidisch auf euch Schweizer, weil wir in Deutschland nur alle vier Jahre abstimmen können.
PF: Über eine Mehrheitsregierung.
CR: Ich glaube, wenn man bis in die kleineren lokalen Fragen abstimmt, führt das zu mehr Transparenz, und mehr Leute denken nach und bilden sich eine Meinung.
PF: Das stimmt, diese Art von direkter Demokratie ist eine politische Schulung des Bürgers. Die Leute sagen immer, die Stimmbeteiligung sei skandalös tief, weil sie vielleicht nur 35 Prozent beträgt, in Wahrheit ist das aber sehr hoch. Das heisst doch, 35 Prozent der Leute befassen sich tatsächlich mit diesen teilweise unfassbar komplizierten Gesetzesvorlagen und stimmen darüber ab. Der andere positive Punkt ist, dass du dich in kürzeren Abständen äussern kannst. Die Problematik ist, bei der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative haben die Leute nicht über Masseneinwanderung abgestimmt, weil die Initiative völlig bescheuert war und für die Wirtschaft total schlecht, sondern über die kommende Flüchtlingsgeschichte. Es war eine reine Angstabstimmung. In der Schweiz hat es in den letzten zehn Jahren keine Masseneinwanderung gegeben, das gab es überhaupt noch nie. Der Ausdruck bezog sich auf die Leute aus der EU, die in der Schweiz arbeiten, Deutsche zum Beispiel. Es kursierte der Ausdruck „Dichte-Stress“, das bezog sich darauf, dass die Züge voll …
CR: Die Züge waren voll mit Deutschen?
PF: Das war wirklich die Diskussion. Aber man konnte nachweisen, dass das S-Bahn-System das zum einen ganz alleine generiert hatte, weil die Leute viel moniler geworden sind und dass die Züge mehrheitlich mit Schweizern gefüllt sind. So entsteht vernünftiges kollektives Wissen. Das Problem entsteht erst, wenn Propaganda und Demagogie betrieben wird, wenn eine bestimmte Stimmung produziert wird, dann kannst du jede Abstimmung killen.
Du hast mal gefragt, ob es nicht auch positive oder lustige Initiativen gibt, und da ist eine, die heisst „Ausschaffung krimineller Männer“. Das ist eine Initiative, die straffällig gewordene Männer, unabhängig von der Art ihres Vergehens, aus der Schweiz ausweisen will.
CR: Auch Schweizer?
PF: Ja! Das ist eine polemische Initiative von linken Feministinnen. Die sagen, wenn ihr Ausländer ausschaffen wollt, dann sind wir für die Ausweisung krimineller Männer. Also, es betrifft jedes Delikt: Brandstiftung, Geldfälschung, Drohung gegen Behörden … Dass die Männer einfach ausgewiesen werden.
CR: Dafür könntest du jetzt auch Propaganda machen.
PF: Es ist eben so viel einfacher, den Leuten Angstszenarien zu verkaufen als konstruktive Visionen wie das bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel.
CR: Bin ich total dafür!
PF: Ich glaube auch, dass dies eine viel interessantere Änderung des Systems bewirken würde als die Erbschaftssteuerinitiative.
CR: Wenn du das bedingungslose Grundeinkommen hast, dann stigmatisierst du auch die Arbeitslosen nicht mehr.
PF: Es geht eigentlich darum, wie viele Leute das ausnützen. Und dann kommst du immer auf dieselbe Quote von 10 Prozent, die hast du auch beim Eisenbahnfahren, Leute, die schwarzfahren, das hast du bei den Steuern, das hast du immer, immer hast du 10 Prozent, die irgendwas ausnutzen, logisch hast du die auch beim Grundeinkommen. Aber von Mitte bis Rechts sind alle dagegen, denn es richtet sich frontal gegen die zwinglianische Arbeitsmoral, nach der du arbeiten musst, um ein sinnvolles Leben zu haben.
CR: Da geht es auch um Sprache. Jedes Ding muss zunächst auf einen Gesetzestext heruntergebrochen und dann, weiter vereinfacht, „dem Volk“ verkauft werden. Zudem wird das Argument noch bebildert.
PF: Die sogenannte Ecopop-Initiative, die aus der rechten und grün-konservativen Ecke kam und aus – angeblich – ökologischen Gründen die Zuwanderung beschränken wollte, die war so bescheuert wie ihr Name: Im Untertitel hiess sie „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“. Diese Formulierung erinnert entfernt an den Begriff „Lebensraum“, der im Dritten Reich eine entscheidende Rolle spielte. Das ist dann sogar mehr als lustig. Natürlich unfreiwillig.
CR: Spielt Humor bei der Argumentation eine Rolle?
PF: Praktisch keine, weil die Leute Angst haben, nicht ernst genommen zu werden. Der einzige Humor in der Politik, den ich erlebe ist, sind Politiker, die frei reden und sich ein bisschen lustig machen. Die „Ausweisung krimineller Männer“, das finde ich state of the art an politischem Humor gemischt mit totalem Ernst, sehr elegant, auch als Antirassismus-Initiative.
CR: Die Plakate der Abstimmungen sehen meistens aus, als stammten sie aus den 1950er-Jahren, dabei ist Schweizer Werbung doch die beste, die es gibt …
PF: Nicht in der Politik.
CR: Die engagieren keine Werbeagenturen?
PF: Niemand will das machen. Die SVP hat einen Grafiker, der diesen Stil geprägt hat. Für die SVP funktionieren die Plakate: Sie erreichen die Leute und gehen immer ein bisschen zu weit, sodass sich alle aufregen und dann darüber etwas schreiben. Den Rest finde ich nur peinlich. Und in letzter Zeit kam etwas ganz Schlimmes hinzu: Songs.

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