SZ-Magazin, 1996

Große1 Gefühle2 :3 Heimat4 im5 Internet6.7

1) Groß
“Where do you want to go today?” Microsoft.

Achtzig Jahre nachdem Amundson und Scott sich ein Kopf an Kopf-Rennen um das letzte Stück Erde lieferten, das der Mensch noch nicht besetzt hatte, gibt es da draußen wieder eine Terra incognita. Stefan Zweig hat den Kampf um den Südpol unter die 7 Sternstunden der Menschheit gereiht. Von der Zeitschrift WIRED5 wurde das NET, eigentlich das Telefonnetz, unter die sieben Weltwunder gewählt. Auf den ersten Platz. Große Dinge wie der Koloß von Rhodos waren mal Wunder, heute sind es große Konzepte.
In seiner Rede “Information At Your Fingertips 2005” hat Bill Gates vorausgesagt, daß die digitale Revolution noch gar nicht stattgefunden hat. Das ist groß. Die Möglichkeit, die ganze Welt in binäre Codes aufzulösen und über das Telefonnetz zu jagen,  ist eine der verheißungsvollsten, arrogantesten, nützlichsten und gefährlichsten Konzepte der Moderne. Wissenschaft und Kultur haben sich durch den Computer und die copy& paste-Funktion ohnehin schon völlig verändert. Befinden wir uns in der zweiten Woche der Schöpfung? Die Negroponte-Implosion5 rührt in erster Linie daher, daß niemand so richtig weiß, wie er diese Terra incognita besetzen oder besitzen soll. Ein riesiges militärisches Unternehmen ist ins Rollen gekommen, um die immaterielle Heimat4 der Information zu kolonisieren.
Das nächste große Konzept in Dataland sind Smart Agents und Knowboter: Software-Filter, die erkennen, was man sucht, kauft oder will. Wenn man im Internet6 eine weiße Couchgarnitur anguckt, registriert der Agent alle Vorlieben, die Größe der Wohnung und wieviel Geld man springen lassen will. Jeder Mausklick wird zum Feedback. Man kann sich kurz danach wahrscheinlich vor Couchgarnituren nicht mehr retten. Unentwegte elektronische Volksbefragung gliedert jeden Surfer5 in Marktsegmente wie Alter, Hautfarbe und sexuelle Vorlieben. Identität und Zugehörigkeit, verpackt als CD, Turnschuh oder Sportwagen kann gezielter hergestellt und verkauft werden. Microsoft braucht dann nicht mehr zu fragen “Where do you want to go today?” Sie werden es wissen. Zu Ende gedacht wird der Smart Agent zur Identität.
Das Konzept funktioniert natürlich in zwei Richtungen. Jeder kann einen Agenten haben und wenn der erstmal kapiert hat, daß man eigentlich schon auf einer weißen Couchgarnitur sitzt und jetzt nur noch Schlittenhunde mag, selektiert er selbstständig und hilft alles über Schlittenhunde zu orten.
Der Smart Agent funktioniert wie ein elektronischer Butler, der Werbung aussortiert, Flüge bucht, Post erledigt, shoppen geht und sich mit anderen Agenten an AMPs (Agent Meeting Points) trifft. Die zweite Identität und viele weitere lassen sich selbst bestimmen. Irgendwann kann man dann als Schlittenhund einkaufen gehen, wie man heute schon in den MUDs5 des Telnets in jede beliebige Rolle schlüpfen kann. Vorraussetzung ist ein eigener, unkorrumpierbarer Agent, der nicht an jeder Ecke übers Ohr gehauen wird. Also nicht irgendwo einen geschenkt nehmen, nur weil es dafür Bonusmeilen, freien Internetzugang oder 10 Fishmacs gibt. Viel verlangt in einer Gesellschaft, in der die meisten nicht mal in der Lage sind, ihren Videorecorder zu programmieren.
Howard Hughes , “der Lindberg vom Ende der Welt, der Held der Postmoderne”, wie Paul Virilio ihn genannt hat, lag die letzten Jahre seines Lebens codeinsüchtig in einem Hotelzimmer vor einer Monitorwand und hat jeden Tag selbst bestimmt, welchen Film er abends sehen will. Er hatte seinen eigenen Fernsehsender, der natürlich nie ein Programm drucken konnte, da sich Hughes meistens erst ein paar Stunden vor der Ausstrahlung entschied. So funktioniert bald das Fernsehen. Wenn man bedenkt, daß 2 Millionen Zuschauer auf der ganzen Welt sich für einen neuen Godard-Film interessieren, er im herkömmlichen Filmverleih aber nur zehn Prozent davon erreicht, wird das Internet6 mit der Möglichkeit, alles zu jeder Zeit mit Knowbotern abzurufen, ein Bollwerk gegen den Mainstream.
Als Howard Hughes vom Bill Gates der 60-er Jahre zu einer Art bettlägerigem Michael Jackson mutiert war, zappte er auch in die wirkliche Welt hinein: Der Ex-Privatdedektiv Robert Maheu verhandelte, via Telefonleitung von Hughes gesteuert, über den Kauf des Fernsehsenders ABC, des Senators von Nevada und schließlich des amerikanischen Präsidenten. Hughes brauchte im wirklichen Raum nicht mehr aufzutauchen.  Robert Maheu, der Hughes nie persönlich begegnet ist, wurde zu seinem Smart Agent. Hughes war der reichste Mann der Welt, einer der besten Flugzeugkonstrukteure und Piloten aller Zeiten und der mächtigste Filmproduzent in Hollywood. Alles was er am Ende behielt, waren ein Telefon und ein Fernsehsender der ihm zeigen mußte was er sehen wollte. Howard Hughes, “der technologische Mönch” (Virilio), war der erste Mensch des 21. Jahrhunderts.

2) Gefühle
“Eines Tages wird es möglich sein, auf eine Party zu gehen und der Einzige dort zu sein.” Andy Warhol.
“Ich bin da.” DANs Mutter in Microserfs.

Das ist ein Smiley  :=)
und das ein Augenzwinkern ;=)
und das ist Elvis  5:=)
Die Hieroglyphen sind mit nach links geneigtem Kopf zu betrachten und nennen sich Emoticons. Sie verhindern mit ziemlicher Sicherheit von vorneherein jede Art von Sprachwitz und Ironie, ähnlich Leuten, die jede Geschichte mit einem “Ich hab’ was soo Lustiges erlebt,… Du wirst Dich kaputtlachen” einleiten. Gefühl und Charisma sind schwer zu übermitteln im Internet6. Bis jetzt gibt es noch keine Programmiersprache dafür. Die meisten chat rooms riechen nach verpickelten Jugendzentren. Keiner kennt den anderen persönlich und die Dialoge gipfeln in Fragen wie  “Hast Du auch’n Mac?” oder ob man Burst Cache oder Edo Ram besser findet.
danielu@microsoft.com5, genannt Dan aus Microserfs, der Nerd5-Bibel von Douglas Coupland, beschreibt seiner Mutter einen typischen America Online Chat als Analogie zu einem Dialog zweier Alzheimer-Patienten:

A: Hey…
B: Hallo, A.
A: Hallo, B
C: Hallo
B: Guck mal C ist da..
A: Hallo C
B: CCCCCCCCCC
C: A+B=A+B
A:Ich muß los..
B: Bye, A
C: Bye, A
B: Puh
C: Puuh puuh

Microserfs beschreibt die Heimat4 des New World Dreams: Das Silicon Valley, Palo Alto, Seattle und Phoenix. Eine mit e-mail-cut-ups und Hyperlinks3 zur gesamten amerikanischen Trivia- und Produkt-Welt angereicherte Suche einiger Nerds5 nach einer Antwort auf die Frage, ob sie leben. DAN ist Programmierer bei Microsoft. In ihrem B-I-L-L-Kult überlegen sich DAN und seine Kollegen, ob Gates wohl immer aus dem Fenster seines Büros guckt und sich jeden merkt, der nicht die vorgesehenen Wege auf dem Campus nimmt, sondern die schlaueste Abkürzung, um ihn dann zu befördern. So funktionieren Nerds5. Und der Chef-Nerd5 ist der reichste und einflußreichste Mann der Welt. “Where do you want to go today?”
In Microserfs stecken mehr Schicksalsschläge als in jeder Soap-Opera: Dans Bruder Jed ist ertrunken. (Dans e-mail-Paßwort ist “hellojed”). Dans Vater wird bei IBM gefeuert (Der Hardware-Koloß IBM &  Microsoft-Software, Vater & Sohn).  DANs Mutter erleidet einen Herzinfarkt, kann nicht mehr sprechen und muß alles in einen Computer eingeben (Nachdem sich DAN nur mit Sprache und Computern auseinandersetzt). Ihr erster Satz ist: “Ich bin da.” DAN reagiert jedesmal auf seine Art superemotional. Aber eben auf seine Art. Sofort setzt er alles in Kontext zu CNN, SEGA, HAL aus 2001 und Schokoriegeln. Am Ende, als DAN und ein paar Kollegen nicht mehr bei Microsoft arbeiten und ihr eigenes Produkt “Oop!” programmieren, ist ihm eigentlich nur noch wichtig, daß sie Freunde bleiben.
Ende der 80-er Jahre machte der Prozeß gegen den 27-jährige Japaner Tsutomu Miyazaki, angeklagt des Mordes an etlichen Kindern, den Begriff Otaku weltberühmt. Durch über 6000 Slasher-Videos und eine riesige Sammlung von Manga-Porno-Comics völlig verwirrt, hatte der Otaku die Gebisse und Teile der Knochen seiner Opfer an deren Familien geschickt. Die Verteidigung Miyazakis machte klar, daß es dem Angeklagten nicht mehr möglich war, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Die restliche Otaku-Welt distanzierte sich sofort von Miyazaki, denn wäre er ein echter Otaku gewesen, hätte er das Haus nicht verlassen, um seine Opfer zu finden. Otaku sind extrem-Nerds5, meist Programmierer oder Software-Tester, die über das Netz völlig nutzlose Information ohne Zusammenhang austauschen. Es geht nur um die Exklusivität der Information, die Körbchengröße von Alicia Silverstones BH zum Beispiel. Man muß als Idol-Otaku einfach der erste sein, der sie rauskriegt und dann sofort an die anderen Idol-Otaku, die man persönlich gar nicht kennt, verschicken. Otaku waren die ersten Super-Nerds5, die öffentlich erklärt haben, daß sie Masturbation mit Manga-Comics konventionellem Sex vorziehen. Weil sie mit Objekten besser zurecht kommen als mit Lebewesen.

Joshi ist ein Virus, der immer am 5. Januar auftaucht und dem User befiehlt “Happy Birthday Joshi” einzugeben, um sein System wieder in Gang zu bringen. Dann verschwindet Joshi für ein weiteres Jahr.

Millionen von Computerusern denken einmal im Jahr an Joshi. Wer kann das sonst schon von sich behaupten? Viren sind sich selbstvervielfältigende, autonome Konzepte. Digitale Organismen von Menschen geschaffen, die in der Leere des Cyberspace eine Bestätigung suchen, daß sie leben. “Ich bin da!” Der Morris-Internet-Wurm, der 1988 mit einem sich selbst reproduzierenden Programm fast das gesamte Netz lahmlegte, machte den Studenten Robert T. Morris jr. zu einem berühmten Mann. Die nächste Generation von Viren wird sich selbst bestätigen, daß sie lebt. Sie ändert mit jeder Vervielfältigung ihre Erscheinungsform und ist so gegen Anti-Virus-Scanner immun. Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor.
Sich selbst reproduzierende, autonome Viren simulieren heute schon Leben im Internet. Warum sollten Smart Agents1 und Knowboter1 nicht fähig sein Gefühle zu zeigen?
Regis Debray, der neben Che Guevara in Bolivien gekämpft hat und den Guerrilla-Führer “Revolution in der Revolution” veröffentlichte, entwickelt heute eine Theorie, die er “Mediologie” nennt und die sich mit der Übertragung von Ideen in der Geschichte beschäftigt. In einem Interview mit WIRED5 (1/95) sagt er: “Maschinen wird es nie möglich sein, dem Denkprozeß ein eigenes Modell zu verleihen, da Maschinen nicht sterblich sind. Was den Menschen in den symbolischen Bereich der Werte und des Sinns eintreten läßt, ist der Umstand, daß wir sterben.”

3) : Hyperlinks
“…und wenn ich diese Taste drück’, spielt er ein kleines Musikstück”
Kraftwerk.
Das World Wide Web5 ist ein durch Hyperlinks zusammengehaltenes Datengewebe, farbig gekennzeichnete Querverweise in Form von Text, Grafik oder Fotos, die wie Tasten funktionieren. Auf der Oberfläche von Netscape5 verwandelt sich der Mauspfeil in eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger sobald er über Hypertext, Hypergrafik oder ein Hyperfoto fährt. Ein Klick und man wird weitergeschickt. Zur nächsten Seite vom gleichen Anbieter oder zu vielen möglichen Seiten anderer Anbieter. Ein riesiges Zapping-Spiel aus ineinander verwobenen Fußnoten und Doppelpunkten.
Das Wort Hypertext wurde 1965 zum erstem Mal von Ted Nelson gebraucht. Nelson, ein brillianter Visionär und der Hyperlink-Guru schlechthin,  arbeitete mit ein paar Programmierern und Hackern an einem Projekt namens Xanadu: einem demokratischen Hypertext-Veröffentlichungsystem in dem sich für jede Information sämtliche Querweise, Vorlagen und Autoren durch Mausklick verfolgen und hinzufügen lassen. Wie schon so oft zuvor, wurde noch 1992 die elektronische Universal-Bibliothek  im “Mondo20005 User’s Guide to the New Edge” für das darauffolgende Jahr angekündigt. Als dann Tim Berners-Lee Anfang der 90er ein simples Hyperlink-System, das World Wide Web5 entwarf, war der Koloß Xanadu zu Nelsons “Rosebud”, zu Schnee von gestern geworden. Das Internet6 war, wie es Nelson immer prophezeit hatte, durch Hyperlinks zum Leben erwacht.
Xanadu hieß der Palast in “Citizen Kane” von Orson Welles. Ein Museum mit Kunstschätzen, die Charles Foster Kane in der ganzen Welt zusammengetragen hat, und gleichzeitig das Mausoleum eines einsamen Mannes, der verlorene Kindheitsträume nie überwunden hat.

4) Heimat
“In Netzstrukturen bildet jeder beteiligte Partner das Zentrum des Dialogs, und die Synthese der Information erfolgt durch Diffusion im Netz.”
Vilém Flusser.

Es gibt jetzt GPS, ein Global Positioning System. Eine neue Erfindung, die einem überall sagt, wo man sich befindet. Nicht im Cyberspace, sondern in der Realität. Eine Art Uhr, die via Satellit jederzeit jeden Punkt im Verhältnis zur gesamten Erde bestimmen kann. Irgendjemand geht davon aus, daß man sich in der Realität verlaufen kann. Das kann eigentlich nur passieren, wenn man sich im Urwald (wie das brasilianische Mädchen mit dem Thinkpad in dem IBM-Werbespot), in der Arktis oder in irgendeiner anderen Terra incognita1 befindet. Oder man leidet unter retrograder Amnesie. Oder man kann nicht mehr unterscheiden, in welcher Realität man sich gerade befindet und das mag der Grund sein, warum GPS ein paar tausend Jahre nach den ersten Uhren erfunden wird. Wenn erstmal fast jede Oberfläche ein Bildschirm ist oder jeder Bildschirm ein Raum, könnte es wichtig werden nach Hause zu finden. Im Internet6 weiß man eigentlich nie so genau wo man ist. Man bewegt sich von einem Knoten zum anderen. Das Netz ist nicht zentral organisiert. Ein System ohne Zentrum. Man hat zwar Adressen, aus denen ist aber nicht mal zu erkennen, wo der Server6 steht. Wozu auch? Ein virtuelles GPS würde einem im Internet immer sagen können, wo man gerade im Bezug zur Welt ist, zu den anderen Surfern5, Datendandys5, Knowbotern1 oder auch bösartigen Agenten und Viren2. Von Hackern programmierte Smart Agents1, die den Kollegen beim Einkaufen das Geld aus der Tasche ziehen. Elektronische Wegelagerer, Trickbetrüger und Hütchenspieler entlang der virtuellen Boulevards. Klingt wie zuhause. Im Internet gibt es Info-Bahnen und Daten-Highways, Sex und Digipizzas und Digicash. Ein kleines Haus auf einer Taste: Home. Man kann spielen, Kunst angucken und Musik hören und jeder hat eine e-mailbox5. Pfeil nach links: Zurück. Entlang der Mauern und Grenzen in Form von Kryptographie5 und Paßwörtern, kann jeder zu jeder Zeit jeden Weg einschlagen. Pfeil nach rechts: Weiter. Technologie ersetzt die Gesetze in einer anarchischen Kommune. Das Internet6 funktioniert nicht wie ein Staat, sondern durch frei gewählte Verbindungen in alle Richtungen. Das macht es zu einem Netz ohne Zentrum und einer Gefahr für zentralisierte, hierarchisch organisierte Machtstrukturen. Das Usenet5 hat das immer wieder gezeigt.  Die ideale Entwicklung würde zu permanenter Erneuerung der Regeln und Gesetze durch Zustimmung führen.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF) wurde 1990 von Mitchell Kapor, der mit Lotus-Software in den 80ern Millionen gemacht hat, und John Perry Barlow, einem Ex-Cowboy und Grateful-Dead-Texter gegründet.
Auslöser waren einige hundert Cops die während der “Operation Sun Devil” willkürlich und verfassungswidrig Jagd auf vermeintliche Daten-Räuber und Hacker machten. Es ging um das Copyright an einem Apple-Programmcode im Internet6, den man ohnehin per Post  bei der Firma bestellen konnte. Die EFF setzt sich seitdem für Freiheit in Dataland ein, damit das Netz ein interaktives, nicht überwachtes Medium bleibt und nicht zur Einbahnstrasse vom Sender zum Empfänger wird.
Das Konzept will Information für alle und von allen. Was allerdings voraussetzt, daß das Internet nicht zur Heimat einer kaufkräftigen Elite verkümmert und über die Hälfte der Menschheit zum Informations-Proletariat verelendet. Die Meßlatte hängt hoch, wenn man allein an die 45 Millionen Menschen denkt, die die UNO gerade als “auf der Flucht” bezeichnet hat. Vor Kriegen, Seuchen, Unterdrückung und Hunger. Noch nie gab es so viele Menschen ohne Heimat.

5) im
Begriffe aus der Netzwelt:
@ ist das Zeichen für e-mail, elektronische Post, die Sie über das Netz verschicken und anhand Ihrer e-mail-Adresse empfangen können.
Der Nerd 2: Ein Wort das laut Microserfs2 das erste Mal in Happy Days auftauchte.”..und heute regieren sie die Welt.” Der Nerd sieht rechts und links des Computers ziemlich schlecht, kennt aber das Fernsehen in- und auswendig. Europa ist für den Nerd ein Haufen arroganter, französischer Nikotin-Fresser mit Zukunfts-Angst. Foucault, Nietzsche und Godard mal ausgenommen.
Ein Modem übersetzt für den Computer analoge Telefonsignale und umgekehrt. Modulator/Demodulator. Wenn Sie die Fähigkeit besitzen -via Telefonleitung- in ein Faxgerät zu pfeifen, und das Fax schreibt dann Ihren Namen, beherrschen sie vorerst nur die analogen Signale. Erst wenn Sie die Signale in -für Computer verständliche- digitale umwandeln, können Sie sich ohne weiteres als Modem ausgeben.
In den MUDs (Multi-User-Dungeon/Verließ) von Telnet können Sie unter hunderten von Teilnehmern an Multi-User-Spielen teilnehmen.
Usenet ist Nachrichtennetz und schwarzes Brett zugleich. Ihnen wird jede Frage beantwortet und Sie können jede Frage stellen. Während des Aufstandes auf dem Platz des himmlischen Friedens entwickelte sich das Usenet zu einem Forum für die chinesischen Studenten um der Welt unzensierte Augenzeugenberichte zu liefern.
Das World Wide Web: Browser mit einfachen Zeigen+Anklicken-Oberflächen und Hyperlinks3 helfen Ihnen, sich von site zu site zu klicken, zu “surfen”. Mosaic war 1993 der erste Web-Browser, Netscape ist inzwischen am meisten verbreitet.
Provider und Onlinedienste wie Compuserve, E-World oder T-Online z.B. ermöglichen Ihnen in Deutschland den Internet-Zugang, liefern allerdings ihre kommerzielle Datenbank gleich mit. In den zugangsbeschränkten oder kostenpflichtigen Foren dienen Ihr Paßwort und Ihre e-mail-Adresse als Unterschrift.
Wired, maßgeblich am digitalen Hype beteiligt, ist keine Computerzeitschrift, sondern ein Forum sehr unterschiedlicher Stimmen zur Gegenwart und Zukunft. Die Neigung zu futuristischer Übertreibung und grenzenlosem Optimismus unterscheidet sich deutlich von Mondo 2000, das
-ebenfalls von der Westcoast aus- die Tür zum post-industriellen Underground und Science-fiction weit aufgestossen hat. Wenn man die Wiredos irgendwo zwischen Marshall McLuhan, William Gibson, Alvin Toffler7, Coupland2 und Negroponte ansiedelt, hängen die Mondoiden zwischen McLuhan, Timothy Leary, Hakim Bey (http://www.uio.no /~mwatz), den Residents und Kathy Acker rum. WIRED können Sie über hot wired auch elektronisch abrufen.
Coolsites und Hotlists sind Empfehlungen bestimmter sites. Inzwischen können Sie sich vor den Listen kaum mehr retten. Hier also meine zwei Coolsites ’96: äda’web, ist über http://adaweb.com zu erreichen und bietet eine Plattform für Kunst-Projekte und Informationsaustausch. äda’web ist ein Konzept des Kurators Benjamin Weil. Bislang haben Jenny Holzer und Julia Scher interaktive sites eingerichtet. the thing, unter http://www.thing.net, gibt es seit 1991 und wurde als elektronischer Salon von dem Künstler Wolfgang Staehle aufgebaut. Beide Projekte stammen von der Ostküste.
Die Negroponte-Implosion hat ihrem Namen Nicholas Negroponte zu verdanken. Der Chef des Media Labs nutzt seine Wired-Kolumne, Bücher (“total digital”) und Live-Vorträge, um immer wieder auf die Möglichkeiten und Chancen des digitalen Zeitalters hinzuweisen. Die Aufgeregtheit der allgemeinen Diskussion ist dann Anfang der 90-er implodiert. Obwohl Negroponte nach eigenen Angaben 300.000 Meilen pro Jahr im Flugzeug zurücklegt, ist er gerade zum “Most-Wired-Man” erklärt worden.
Kryptographie verschlüsselt Informationen mit einem Code, der nur von Empfängern entziffert werden kann, die über den gleichen Code verfügen. Kryptographie ist einer der Hauptstreitpunkte im Internet6. Wenn man die Verschlüsselung verbietet oder einen Kodierstandard wie Clipper durchsetzt – wie von der amerikanischen Regierung vorgeschlagen- wird jede Form von Privatheit in Dataland unmöglich oder gesetzwidrig.
Besuchen Sie mal die Website der Electronic Frontier Foundation4.
Der Datendandy, der sich gelangweilt durch das Netz zappt und nur Informationen sammelt um damit zu prahlen, wurde von der amsterdamer Agentur Bilwet (geert@hacktic.nl) entworfen. “Gegen das computergesteuerte Spektakel des Gehirns mit seinem endlosen Navigieren durch die Datenmassen setzt der Datendandy den graziösen Kunstgriff des Geistesblitzes.”

6) Internet
“Cyberspace ist da wo man sich befindet wenn man telefoniert.”
John Perry Barlow4

Am 21.November 1969 -kurz nach Hippie Woodstock- erhielt die UCLA in Los Angeles eine Nachricht via Arpanet vom 500 Kilometer entfernten Stanford Research Center in Palo Alto. Der Auftrag für die erste elektronische Übermittlung über das Telefonnetz kam aus dem Pentagon, – um Informationen im Fall eines atomaren Überfalls vor den Sowiets zu schützen. Was der Inhalt der ersten Nachricht war, weiß keiner mehr. Sie ist verloren gegangen.
Das Arpanet, ab 1980 das Internet, wurde vom Militär, später von Forschungseinrichtungen und Universitäten genutzt. Es dümpelte 20 Jahre in Amerika relativ unbemerkt vor sich hin, bis die Computer immer schneller, kleiner und mit leistungsstarken Modems5 ausgestattet wurden.
Das Internet besteht aus Servern, Computern, die per Standleitung am Telefonnetz hängen und in die man sich über ein Modem5 hineinwählen kann. Das Internet hat keinen Herausgeber und ist nicht kommerziell ausgerichtet. Jeder kann sein eigener Server werden. Jeder ist potentiell mit jedem verbunden. Das macht es zu einem Netz ohne Zentrum. Das Angebot ist unbegrenzt, und jeden Tag kommen weltweit tausende von Servern und damit Seiten hinzu. Aber es handelt sich eben bislang um zweidimensionale Seiten.
Noch ist das Tor zur Welt kein Tor. Es ist immer noch ein Fenster.
Wie weit das Tor aufgehen wird, hängt davon ab, ob die Bildschirme zu Räumen werden und ob die Räume von uns allen eingerichtet werden oder vielleicht nur von der Firma Disney und John Bon Jovi.

7) .
“Konventionelles Denken ist vor allem eins: konventionell.”
Nicholas Negroponte
Die Diskussion um das digitale Zeitalter und das Internet6 wird von Amerikanern dominiert. Der Negroponte-Implosion5 folgt ein weltweiter Kaufrausch und auf Bill Gates’ Einkaufszettel steht inzwischen der Himmel. Der Holländer Ted Lanson hat einen Werbefilm für Opel gemacht, in dem die Kamera sich von einem Auto immer mehr entfernt, über die Wolken ins All, bis die Welt nur noch ein kleiner Ball ist. Gott guckt sich den neuen Opel an und Bill Gates greift nach den Satelliten.
Nicholas Negroponte sagt in Spiegel-Spezial, daß das Internet “viele Selbstverständlichkeiten des europäischen Lebensstils in Frage stellen wird.” Harte Sache. Er bezieht sich wahrscheinlich nicht nur auf die überhöhten Telefongebühren. Negroponte ist den Burdas und Bertelsmännern sehr willkommen. Er gehört zu einer Elite, die vorgibt unpolitisch zu sein und auf alles eine Antwort hat. Diese Antworten folgen aber meist auf Fragen von Leuten, die weder im Internet6 waren, noch sich fünf Minuten Gedanken gemacht haben ob SEGA, APPLE oder die TELEKOM morgen nachmittag die Welt umstrukturieren, weil sie das Internet6, die Bilder und unsere Träume kolonisieren. Fragen von Politikern, Managern und Journalisten. Meist aus Europa. Die Macher des deutschen Fernsehens halten wahrscheinlich noch am HDTV fest, wenn Negroponte längst als Hologramm vor ihnen steht. Alvin Toffler, ein brillianter Zukunftsforscher, ist im Beraterstab von Newt Gingrich. Auch Gingrich hat ein paar kluge Gedanken zur Zukunft geäußert. Aber meinen Smart Agent1 möchte ich von diesen Leuten nicht konfigurieren lassen.
Wir können uns immer noch entscheiden was aus dem Internet6 wird. Nach dem angekündigten Tod des Kinos, der Großstadt, des Fernsehens, des Autors, des Rock’n’ Roll und der Geschichte, ist von allen Visionen, die die Negroponte-Implosion5 hochgespült hat, jene die verlockendste, die von der Auflösung des Ich im Wir kündet. Eine “Art von kosmischem Gehirn” wie Vilém Flusser es genannt hat. Gleichberechtigung durch Computer. Where do you want to go tomorrow?