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Im Wettbewerb: “Baader” von Christopher Roth
(Spielfilm)

“Alles ist in Afri-Cola”. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an diese Werbung aus den frühen 70ern. Was man in dem kurzen Spot lernt, ist eigentlich nur, dass alles Afri-Cola ist, und dass Afri-Cola Pop ist. Also ist alles Pop. Womit wir bei “Baader” wären, dem letzten von vier deutschen Beiträgen im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb.

Sein Thema: Das Leben von Andreas Baader zwischen 1967 und 1972. Frank Giering (Nebenrollen: Laura Tonke, Birge Schade) spielt den Terroristen, der gerne Sonnenbrillen trug, und im Ledermantel Posen aus Italowestern nachstellte. Um historische Wahrheit geht es hier nicht, um Moral schon gar nicht, aber vielleicht erzählt der Film mehr über die “Baader-Meinhof-Gruppe”, als andere Filme zum Thema in letzter Zeit, die es ernsthafter, aber im Rückblick behandeln, und dabei auf das Lebensgefühl der Beteiligten keine Rücksicht nehmen.

Darum spielt auch Paris eine Rolle, Sex und Explosionen, die Liebe zum Leben im Untergrund. “Du bist der Baader” – “Ich bin der Baader” – “Wow” heißt ein Dialog. Und plötzlich erlebt man eine bekannte Story ganz neu, plötzlich ahnt man, dass es hier – ob es einem gefällt oder nicht – auch um eine Generation im Freiheitsdrang, um großgewordene Kinder, die schöne Dinge tun wollten. Und wenn schöne Menschen schöne Dinge tun, ist das Kino.

Der Regisseur des Films ist der Münchner Christopher Roth, der vor Jahren mit “Loosers” einen Erstling drehte, der im Gedächtnis blieb, ein kleiner Film, der besser war, als fast alle großen Mitte der 90er. Auch Kino ist Pop.

Rüdiger Suchsland, in BR-Online

 

 

“Baader sah cooler als die anderen aus, hörte die richtige Musik und fuhr die schnelleren Au-tos”, meint Roth. “Dann drückte er den anderen eine Waffe in die Hand und machte ihnen klar: Hier läuft der echte Krimi.” Um die historisch verbürgte Wahrheit schert sich der Film manchmal nicht im Geringsten. Er nimmt sich die Freiheit, Baader als Mythos zu interpretie-ren – und ist damit durchaus symptomatisch für den Freiheitsdrang, den das deutsche Kino derzeit auf der Suche nach eigenen Wahrheiten demonstriert.

Lars-Olav Beier “Hier läuft der echte Krimi” in: Der Spiegel, Nr.6, 4.2.2002

 

Ulrich Kriest in intro, Fri, 27.09.2002
CHRISTOPHER ROTH
Baader. Das Kannst Du So Nicht Sagen, Baby!

Alles schien erledigt. Aus dem Gedenken zum 20. Jahrestag des “deutschen Herbstes” hielt sich der deutsche Kinofilm heraus, also durfte Heinrich Breloer im Fernsehen dem Kanzler Schmidt einen staatstragenden Kranz flechten. Kurz darauf, 1998, gab die RAF – wer auch immer das zu diesem Zeitpunkt gewesen sein mag – ihre Auflösung offiziell bekannt. Seither ist die Reihe bemerkenswerter “Gespenstergeschichten” über die RAF nicht mehr abgerissen. Nach Schlöndorff (“Die Stille nach dem Schuss”), Petzold (“Die innere Sicherheit”), Veiel (“Black Box BRD”) und Conradt (“Starbuck Holger Meins”) hat sich jetzt Christopher Roth (“Loosers!”) direkt ins Herz der Finsternis, zu den Protagonisten der ersten Generation der Stadtguerilla begeben. “Baader” lässt sich einen Film lang auf die Oberfläche dieses selbstproduzierten Mythos’ ein, hat all die Klatsch- und Tratschgeschichten, die über Andreas, Gudrun, Ulrike und Holger kursieren, genommen und sie in fetzige, stilisierte Bilder über coole Posen umgesetzt. Fast hat es den Anschein, als würde “Baader” die tausendmal gesehenen Wochenschaubilder aus den frühen 70er-Jahren um die Bilder ergänzen, die seinerzeit nicht gefilmt bzw. geschnitten wurden.

“Baader” startet am 17. Oktober, ein idealer Starttermin.
Stimmt, am 18. Oktober jährt sich zum 25. Mal der Todestag von Andreas Baader. Da wird es wieder viele Texte zur RAF und zu Baader-Meinhof geben. Dann können die Leute ins Kino gehen und sich noch mal eine andere Sicht der Dinge angucken.

Für mich ist “Baader” weniger ein analytischer Film, gibt dies auch gar nicht vor, sondern vielmehr eine künstlerische Reaktion darauf, dass die RAF längst einen Grad der Mystifikation erreicht hat, dass es keine historische Außenperspektive mehr auf dieses Zeichengewirr gibt.
Aus dem Zeichengewirr kommt man nicht raus, vielleicht will man gar nicht raus. Ich glaube, man muss dem noch was hinzufügen. Versuchte man, dieses Zeichengewirr zu dekonstruieren, wüsste ich gar nicht, wo man am Ende hinkäme. Ich glaube auch nicht, dass das heute noch funktionieren würde. Damals war es natürlich in Baaders Interesse, bereits zu Lebzeiten einen solchen Mythos zu basteln.

Was für einen Ansatz verfolgt “Baader”?
Ich habe versucht, von den Oberflächen auszugehen, von der Wirkung und der Faszination. Und erst dann tiefer zu graben. Die Zeichen lesen und dann versuchen, daraus etwas Neues zu basteln.

Wobei “Baader” eine dokumentarische Basis hat. Die Dialoge sind weitgehend kolportiert und in Dialogform gegossene Kassiber, oder?
Besonders die formelhaften Statements von Laura Tonke oder Birge Schade. Auch der Polizeijargon lehnt sich stark an das an, was es damals gab. Mit “tiefer gehen” meinte ich nicht, den Dingen auf den Grund zu gehen, um eine schlüssige Analyse zu erhalten, sondern eher die Integration von poetischen oder lyrischen Momenten. Also nicht sezieren, sondern im Gegenteil: eine Offenheit schaffen, in die jeder Zuschauer seine Sachen reinprojizieren kann.

Von allen RAF-Leuten hat Baader den schlechtesten Ruf.
Ist doch klar. Die gesamte Linke hat ein irrsinniges Problem mit Baader, weil er zum Ende hin so etwas wie ein militärischer Existentialist geworden ist, der davon sprach, selbst zum Projektil werden zu wollen, oder sagte, die Härte selbst müsse zur politischen Identität werden. Andererseits hat es natürlich die Anarchisten verschreckt, dass die sich “Rote Armee Fraktion” nennen und diese hierarchischen Strukturen übernommen haben. Die Rote Armee hat seinerzeit in Kronstadt die Anarchisten niedergemetzelt. Und für jede Art von Linken war die Art und Weise unerträglich, wie Baader sich als Frontmann einer Band, als Popstar oder Kinohelden stilisierte. Als ich den Film in Edinburgh gezeigt habe, fragten die Leute, ob ich denn wirklich glaube, dass sich ein Marxist so für Lippenstift interessieren würde. Ja, klar doch! Die dürfen auch BMWs fahren. Das ist ja gerade das Interessante an denen: Dass sie den Leuten eine ganze Welt vermittelt und noch so ein Rebellentum verkauft haben. Wenn man sich die Literatur zur RAF anschaut, ist eine Art von Meta-Meta-Text entstanden, der seinen Ursprung in Austs “Baader-Meinhof-Komplex”, vielleicht bei Jilian Beckers “Hitler’s Children” (1977) hat. Dort finden sich diese Anekdoten, die längst den Status von Primärquellen erlangt haben, unendlich oft aus- und abgeschrieben und als Drehbuchvorlagen genutzt worden sind. Es ist doch rätselhaft, dass der Vorstadt-Strizzi, Autoknacker und Comic-Leser Baader zum Leader einer Gruppe wird, die aus bürgerlichen Intellektuellen wie Ensslin, Meinhof, Meins oder Raspe besteht. In der Literatur wird Baader stereotyp zum chauvinistischen Popanz gemacht, so als wolle man ihn posthum dafür bestrafen, dass er – wie der Rattenfänger von Hameln – der Bourgeoisie ihre klügsten Kinder geklaut hat. Der konnte ja wirklich ein Auto knacken, der konnte wahnsinnig gut mit Frauen umgehen. Der konnte ihnen das geben, was sie als schüchterne Studenten gerne sein wollten: Rebellen. In der RAF sind nicht nur Baader und Meinhof aufeinandergeprallt, sondern da war auch noch Horst Mahler, der mehr so Black-Panther-inspirierte Stadtteilarbeit machen wollte. Aber Baader war der Mann der Tat, der gesagt hat: So oder so funktioniert’s. Da waren die ungeheuer dankbar. Außerdem: Der ist ja auch faszinierend in seiner Frauenfeindlichkeit. Ich muss nicht sagen: Das ist aber furchtbar schlimm. Das war so, das war ein spannender Teil davon.

Und die bohemistische Komponente? Hat er die Mädchen reingezogen?
Das wird so gesehen. Er hat alle aus ihren bürgerlichen Lebenläufen herausgerissen. Er war nicht grundlos derjenige, der dafür verantwortlich war, die Leute anzusprechen.

Reden wir über den Soundtrack, der ganz ahistorisch Stücke von Can über Trans Am bis Suicide versammelt.
Wenn ich mich an die Zeit meiner Jugend erinnere, dann erinnere ich mich an Deutschland in Schwarzweiß und verschneit. Farbe kam erst durch die Olympischen Spiele 1972 hinein. Ein Ausweg aus der Farblosigkeit waren amerikanische Filme und irgendwie dann auch Andreas Baader. Jedenfalls, bis dann Punk kam. Insofern habe ich Musik ausgewählt, die zur Stimmung passt. Was auch “falsch” sein kann, wie die Stone Roses oder Campag Velocet. Man darf auch nicht vergessen, wie früh Can dran waren. Im Falle von Trans Am gefiel mir diese fremdartige Postrock-Attitüde, die fast wieder bei Krautrock landet. Übrigens werden wir den Soundtrack von “Baader” demnächst bei Normal veröffentlichen.

Bei der Eröffnungssequenz hast du semi-dokumentarisches Material mit MC5s “Kick Out The Jams” unterlegt. Ist das eine Parodie auf all die Spiel- und Fernsehfilme, denen zu immer denselben Montagen nur “Street Fighting Men” einfällt?
Ich habe neulich erst eine Dokumentation im Fernsehen gesehen, die haben auch MC5 genommen. Die Titelsequenz ist die einzige Sequenz in “Baader”, wo man noch mal 1:1 Bilder sieht, die man schon mal gesehen hat. Hey, das ist die mediale Wahrnehmung von Bildern und Musik, die wir tausendmal gesehen und gehört haben. Vielleicht geht es also darum zu sagen: Soweit ist das jetzt noch richtig, und jetzt fangen wir mal an, mit den Bildern und Tönen zu spielen.

In der Titelsequenz tauchen deine Darsteller kurz auf, was ich so gedeutet habe, dass es dem Film weniger um Analyse als um Mystifikation hoch zwei gehen wird: Die Figuren gehen wieder in den bekannten Bildern auf.
Stimmt vielleicht. Bei den ganzen Drehungen von “Baader” ist so was möglich.

Passt es da nicht auch, dass du den Terroristen zwar die Posen gibst, ihnen aber den Glamour verweigerst? So trostlos habe ich mir den Alltag in der Illegalität nun auch wieder nicht vorgestellt.
Mich hat das gemeinsame Rumhängen an Plattencover aus der Zeit erinnert, wo die Bands immer so hilflos in der Gegend herumstehen. Zum Beispiel die Szene, als sie an dem Mercedes stehen und Heroin nehmen, die erinnert mich an diese Zeit, als man gar nicht wusste, wohin mit der Gegenhaltung, dazu läuft der “Sing Swan Song” von Can, wie auch am Ende. Total finster, aber auch unglaublich romantisch. Was den Glamour angeht: Sie fahren mit dem Motorrad durch Paris, die glamouröse Stadt der Revolution, dazu die roten Stiefel von Gudrun, die rote Samthose von Andreas, die er im Camp nicht gegen Camouflage eintauschen will, und die Fedajin sagen: “Entschuldige mal, wir haben hier Krieg.” Später hat sich der Glamour mit Tarnung vermischt, als Gudrun mit Pelzhut und gelbem Kleid im Zug sitzt, geht der Polizist natürlich erst mal nicht davon aus, dass das eine gesuchte Terroristin ist. Du läufst einfach mit langen verfransten Haaren und Ringelpulli sofort in die Fahndung. Und schließlich sind sowohl der Wille des Revolutionärs als auch die Liebesgeschichte von Gudrun und Andreas glamourös. Und eben auch wieder trostlos.

Fassbinder hat mal in den frühen 70ern in einem Gangsterfilm mit dem Titel “Al Capone im deutschen Wald” gespielt. Mir schien die RAF bei dir wie eine Provinzausgabe der RAF.
Na ja, wir sind ja auch Provinz, damals noch mehr als heute. Selbst diese unglaubliche Erregung über den Film ist im Endeffekt provinziell.

Kann da Enttäuschung mitspielen?
Vielleicht eine Enttäuschung darüber, dass die Figur von Baader, so wie die Leute sie im Kopf haben, einfach nicht funktioniert. Dass er auch noch was anderes war. Die Enttäuschung wurde ja nicht nur von der Linken artikuliert, sondern auch in bürgerlichen Kreisen. Wo es dann hieß: “Das waren mal meine Helden!” Und dann denkst du dir: “Also, Entschuldigung, aber so bürgerlich, wie du heute bist, und dann behauptest du einfach so, dass das deine Helden gewesen sind. Also bitte!” Andererseits finde ich auch: Baader funktioniert als Held.

Als Zitat eines Helden!
Genau!

Und das ist doch enttäuschend: Wenn die Terroristen nach 25 Jahren nur noch als Terroristen-Darsteller denkbar sind.
Das ist erst mal nicht enttäuschend. Irritierend ist vielleicht, dass man nach 30 Jahren sieht, dass sie ihren Körper für die Wahrheit ihrer Gedanken haftbar gemacht haben und es sich bei den Gedanken um Zitate gehandelt hat, die sich erst mal so nicht auf die Wirklichkeit übertragen ließen. Das ist wahrscheinlich das Irritierendste, und da bleibt auch bei mir ein immenses Unbehagen.

Welche Rolle spielen bei deinem “Baader”-Projekt alte Filme über die RAF, etwa Fassbinders “Die dritte Generation”?
Ein direktes Vorbild gab es nicht. Natürlich gibt es immer Filme, die man mag und die man kennt. Godards “La Chinoise” etwa. Wichtig waren auch Filme, die Baader gesehen haben kann, die er vielleicht mochte. Zum Beispiel die Filme von Melville. Ich entdecke in vielen Szenen und in einigen Figuren etwas von Melville. Dieses nächtliche Treffen im Auto zwischen Baader und dem BKA-Chef Kurt Krone ist absolut Melville. Delon in “Le Samourai” ist ja ein Zitat amerikanischer Filme. Baader zitiert gewissermaßen das Zitat.

So wie Belmondo in “Außer Atem” Bogart imitiert?
Genau, “Pierrot le fou” wäre auch noch zu nennen. In “Verschwende deine Jugend” erzählt Margita Haberland, die Sängerin von Abwärts, dass sie Baader und Ensslin noch getroffen habe, bevor die nach Frankfurt fuhren, um dort das Kaufhaus anzuzünden. Und Baader sagt: “‘Pierrot le fou’. Ha. Das machen wir selber!”

Es gibt in “Baader” diese stilisiert theaterhafte Szene, in der Vater Ensslin seine Tochter beschwört, in die Normalität zurückzukehren, und sie dann pathetisch verabschiedet.

Diese Vater-Tochter-Geschichte hat mich immer fasziniert. Dass die noch mal in Stuttgart vorbeifahren und im Pfarrhaus übernachten wollen. Diese unglaublich emotionale Geschichte. Oder diese Dreistigkeit, dass Gudrun nackt vor ihren Vater tritt und dass ihr diese unglaubliche Sprache entgegengesetzt wird. Ich finde diese Szene hoch emotional und merkwürdig irritierend. Nachdem sie in dieser Szene quasi aus dem Paradies verstoßen werden, nennen sie sich in der folgenden Szene Hänsel und Gretel. Da fragt man sich schon: Was ist denn hier los?

Dann heißt es: Das Böse ist der Preis der Freiheit. Sprechen Baader und Ensslin unterschiedliche Sprachen?
Am Anfang auf jeden Fall. Der Baader macht ja eine andere Entwicklung durch als der Rest der Gruppe. Während die Intellektuellen zu Verbrechern werden, wird der Kleinkriminelle Baader hauptsächlich in der Gefängniszeit zum Revolutionstheoretiker. Gerade beim Gespräch mit Krone wird klar, dass Baader begriffen hat, mit was für einem System ihn das BKA konfrontiert. Krone sagt: “Mein Computer ist nur bedingt romantisch veranlagt.” Der Krone ist ein Linker, der bei seiner Arbeit fast von marxistisch-leninistischer Analyse ausgeht. Der kann mit dem Posen von Baader nichts anfangen und setzt den Computer als befreiendes, anti-hierarchisches System ein.

Krone ist vielleicht der einzige Materialist in diesem Haufen von Romantikern.
Ein früher Kybernetiker, angelehnt an Horst Herold. Herold war sehr links und kannte sich im Marxismus perfekt aus. Das kann man übrigens alles in “Baader und Herold” von Dorothea Hauser nachlesen. Dass der oberste Polizist linker ist als Baader, hat die Zuschauer in Berlin schwer verstört. Auch, dass Krone den toten Baader am Schluss in den Armen hält.

Noch toller fand ich die Szene, als die Belagerung in der Garage beginnt: Ein Schuss fällt, und Krone schreckt aus dem Schlaf wie Nosferatu, wenn er Blut riecht. Ein magischer Moment, wie er nur im Kino möglich ist.
Genau. Das sind so Sachen, wo man sich etwas traut.

Diese letzte Phase, die Gefängnisphase, hast du dir gespart, weil du den Showdown nach Frankfurt verlegst. Die Szene ist sorgfältig nachinszeniert: Man glaubt, Found-footage-Material zu sehen; Bilder, die die Wochenschau weggeschnitten hat. Wenn der weiße Porsche vorfährt, weiß man: Jetzt geht’s dem Ende zu. Du hast dich für ein spektakuläres Ende entschieden, was der Rezeption des Films auf der “Berlinale” nicht zum Vorteil gereicht hat.
So könne man mit der Geschichte nicht umgehen, weil die Zuschauer ja denken müssten, so sei es gewesen. “Das darf man nicht!” Dann wurde kritisiert, dass das Ende zu sehr “Hollywood” sei. In Edinburgh hat jemand gesagt, ich sei ein Faschist, weil mein Schluss den Mord des faschistischen BRD-Staates 1977 in Stammheim dementieren würde.

Was sagst du dazu?
Das finde ich interessant. Grundsätzlich sage ich dazu, dass das Ende alles offen lassen soll und dass das Ende die ganze erzählte Geschichte in Frage stellt. Ich sage ja nie: So war das. Sondern die Baader-Figur, die ich zeige, ist eine Kinofigur, die ist vereinfacht und trivialisiert. Und diese Baader-Figur, der sich selbst stilisierende Popstar, der ist 1972 in Frankfurt gestorben. Da muss ein konzeptuelles Unbehagen bleiben. Stammheim ist ein anderer Film, da sind sie die Opfer des Systems. Unser “Baader” endet mit dem Shoot-out in Frankfurt.

 

Humor, Mode und schnelle Autos sind etwas wahnsinnig Subversives

18.10.2002, Rüdiger Suchsland

Lippenstift, Marxismus und Tod: “Baader” und die Romantik der Revolte

Kino, hat man mal formuliert, ist, wenn schöne Menschen schöne Dinge tun. Bei Christopher Roth versuchen ein paar kluge, junge, gut aussehende Leute den Kapitalismus zu beseitigen und das “Schweinesystem” zu revolutionieren. Sie fahren schnelle Autos, kiffen und schlucken LSD, tragen Cord-Jacken und nähen sich ihre Hosen enger.

 

Weil der Film “Baader” heißt, gefällt das manchen nicht, und sie kommen mit den Fakten, Fakten, Fakten aus dem historischen Seminar, anstatt zu erkennen, dass hier mit Geschichte umgegangen wird wie bei Shakespeare oder Umberto Eco. Während die einen verkrampft ihre Deutungsmonopole verteidigen, ist Christopher Roths Wahrheit eine andere. Er will etwas spürbar machen vom Lebensgefühl, das intelligente Menschen in den Terrorismus gleiten ließ. Indem er seine Figuren Baader, Ensslin, Meinhof (Frank Giering, Laura Tonke, Birge Schade, allesamt hervorragend) als junge, etwas verwirrte aber nicht grundsätzlich unsympathische Personen vorstellt, Skizzen aus ihrem Leben zeigt, die im Detail erfunden sind, im Grundsätzlichen aber tatsächlichen Ereignissen folgen, lenkt er den Blick auf Überraschendes: Auf einmal entdeckt man, dass diese Kapitalismusfeinde auf schnelle Auto standen und gerne Cordsackos und Sonnenbrillen trugen, ahnt man, dass vielleicht die Posen, die sie sich in Filmen wie “Pierrot le Fou” oder Italo-Western abguckten, für die Geschichte dieser an den Terrorismus verlorenen Kinder des Wirtschaftswunders wichtiger war, als die Lektüre von Marx und Lenin.

Terrorismus, ein Gangsterfilm – in schönen, stimmungsvollen Bildern, mit viel Gespür für Zufälle und Möglichkeitssinn, ist “Baader” eine Verteidigung der Oberfläche, ein Film, der vor allem Freiheit sucht. So steht “Baader” “Bonnie und Clyde” oder Rudolf Thomes wunderbarem “Rote Sonne” weitaus näher, als etwa Andres Veiels bravem Konsensfilm “Black Box BRD”: Ein Dissensfilm, der darauf verzichtet, auch noch die RAF historisch einzugemeinden, der daran erinnert, dass Streit und Offenhalten von Unklarheiten manchmal besser ist, als Versöhnung. Mutige, intelligent und – nicht zuletzt – unterhaltsam. Gutes Kino eben.

 

 

Warum interessieren sich in Ihrem Film Marxisten für Lippenstift?

Roth: Die Ansicht, dass man, wenn man links ist oder Idealist ist, auch in den allerletzten Klamotten herumlaufen müsste, ist eben falsch. Godard und Truffaut haben teure Autos gefahren und trotzdem linke Filme gemacht. Die RAF ist von ihrem Stil, von den Posen, Gesten, Klamotten, Geschlechterbeziehungen meiner Meinung nach nicht zu trennen. Baader war auf seine Art konsumgeil, einer, der sich wahnsinnig für schnelle Autos interessiert hat, der seine Hosen enger genäht hat. Gudrun Ensslin war einmal verschwunden, und alle aus der Gruppe dachten, sie sei verhaftet worden. Da war sie – auf dem Höhepunkt der Fahndung – im Kaufhaus gewesen, und hat sich ein Parfüm gekauft. Sie wurde ja auch im teuersten Modeladen Hamburgs verhaftet, als sie ein blaues Lederjacket anprobiert hat.
Mode ist also selbst etwas Progressives das Normalität angreift?
Roth: Ja unbedingt. Ich finde diesen Muff, die Trostlosigkeit, die im Zusammenhang mit linker Politik bei uns vermittelt wird, auch die Humorlosigkeit fatal. Humor, Mode und schnelle Autos sind etwas wahnsinnig Subversives.
Ist die 68er-Revolte daran zugrunde gegangen, dass in der Bundesrepublik zuviel Muff war? Oder bei der Linken?
Roth: Zumindest ist dies ein Punkt gewesen, warum es viele abgestoßen hat. Es gab da eine Einigkeit im Muff zwischen System und Opposition, dass es jetzt so muffig weitergehen muss. Dass sich Baader und Ensslin als Filmhelden stilisiert haben, hat sie zu einem Problem für manche Linke gemacht. Die zweite und dritte Generation waren demgegenüber eher Techniker, und man fragte sich auch ab und zu: Sind die denn überhaupt klug genug? Die hatten ja auch Probleme, Leute zu rekrutieren. Woran es aber wirklich gescheitert ist, ist sicher, dass es so nicht möglich war in Deutschland. Das Problem ist natürlich, dass die Analyse nie stattgefunden hat, ob das Land bereit ist für eine Revolution. Die haben relativ früh ihre Körper dafür haftbar gemacht, dass das, was sie sagen, richtig ist. Darum haben ja viele Linke auch gesagt: Das geht uns jetzt zu weit, wir wissen noch gar nicht, was hier los ist. Das war umgekehrt ja aber auch gerade das intelligente: Dass sie gesagt haben: Man muss ausprobieren, ob es möglich ist, Illegalität ausprobieren…
Und man müsse das Land bereit machen, bereit ballern für die Revolution…
Roth: Ja genau. Es gibt ja auch diesen tollen Satz von Ulrike Meinhof: “Wenn die Zeit für den Aufstand gekommen ist, ist es zu spät ihn vorzubereiten.” Das Experiment als Kriterium der Wahrheit. Deswegen war die erste Generation der RAF auch zweifelnder, hat mehr ausprobiert. Die zweite Generation hatte ein klares Ziel: Gefangenenbefreiung.
Die hatten ja auch in ihren Handlungen eine Konsequenz, in der alles Spielerische gefehlt hat…
Roth: Alles!
In einem gewissen Sinn entsprechen die Terroristen der späten 70er-Jahre auch ihrer Zeit, der Erstarrung, die dann mit Ende der Brandt-Regierung einsetzt. So erstarrt ist auch der Terrorismus. Die zweite Generation entspricht Schmidt – jede Zeit, könnte man sagen, hat die Terroristen, die sie verdient. Wenn man liest, wie dieser “Volksgerichtshof” gegen Schleyer ablief, und sie dann Schleyer nur deswegen getötet haben, weil sie es halt machen mussten, ohne sachlichen Grund, einfach, um konsequent zu sein…
Roth: Da waren ja auch echte Volldeppen dabei. Die haben noch die Bänder verschwinden lassen, weil es peinlich war. Mich hat auch wirklich nur die erste Generation interessiert.
Was hat Sie besonders an Andreas Baader als Filmstoff fasziniert?
Roth: Die oben beschriebene Haltung: Der Zusammenhang von Politik und Ästhetik. Etwa im Kinderladen hat er sich einmal auf den Tisch gestellt und Geld runtergeschmissen und gesagt: “Wer’s kriegt, der darf’s behalten. Das ist Kapitalismus!” Auch die Liebesgeschichte zwischen Ensslin und Baader gefällt mir. Dieses wilde Leben, dass die kurze Zeit geführt haben, und das von revolutionärer Strenge weit entfernt war. Ich finde, alles, was er gemacht hat, kann man sehr verschieden sehen, es ist nicht eindeutig gut oder böse. Andererseits war er ein Verführer, hat die anderen Leute natürlich kriminalisiert. Ich habe nicht nur eine Haltung zu dem Thema, sondern viele. Die historische Figur Andreas Baader interessiert mich als Material, um die Spannung zu erzeugen zu dem, was ich dazuerfinde. Gerade das Zusammenspiel zwischen Fakten und Fiktion ist interessant. Dagegen kann ich der vordergründigen Authentizität, wie sie Dokumentarfilmer behaupten, wenig abgewinnen. Zudem ist dieses Vorgehen viel fiktionalisierender, als ein Spielfilm. Biographien sind verführerisch, man muss dabei immer wieder klarmachen: So war es nicht.
Was haben Sie für persönliche Erinnerungen an diese Zeit? Wie haben Sie sie verarbeitet?
Roth: Die historischen Ereignisse habe ich gar nicht mitbekommen. In meinen Kindheitserinnerungen ist das Deutschland der 70er Jahre unendlich trostlos, alles ist grau, die Männer tragen braune Kassenbrillen. Der Ausweg waren amerikanische Filme. Das war das erste Mal, dass – in meiner Erinnerung – Farbe nach Deutschland kam. Und dann die Olympiade 1972 – ich bin in München aufgewachsen, und habe sie selbst miterlebt – mit diesen Eindrücke vermischt sind die Bilder vom deutschen Terrorismus. Gemeinsam mit meinem Co-Autor Moritz von Uslar habe ich ein erstes, viel zu langes Drehbuch hergestellt, das sich nicht genau an die Fakten hält. Es gab auch eine Fassung, bei der Baader noch am Leben ist, und in Paris lebt. Es wurde dann peu à peu verbessert. Ich habe lange Gespräche mit Horst Herold geführt – ein toller, hochintelligenter Mann, der für Baader viel Anerkennung, fast eine Zuneigung hatte -, auch mit ehemaligen RAF-Mitgliedern. Irgendwann findet man dann den richtigen Zugang.
Es gibt in ihrem Film eine antagonistische Beziehung zwischen BKA-Mann Krone (der für Horst Herold steht) und Baader. Wie kamen Sie darauf?
Roth: Herold selbst hat einmal gesagt: “Niemand hat mich so gut verstanden wie Baader, und ich habe niemanden so gut verstanden.” Zudem war Herold ja tatsächlich der Ansicht, es hätte in der Bundesrepublik eine Revolution geben können: “Dutschke hätte es schaffen können.” hat er einmal gemeint. Er hat lange versucht, zu deeskalieren, war auch der Meinung, die RAF sei kein Problem in den Köpfen der Studenten, sondern ein Problem der Gesellschaft.
Man hat den Eindruck, dass Ulrike Meinhof in dem Film eher schlecht wegkommt, ein paar kluge Sachen sagt, und dann fast verschwindet. Warum?
Roth: Erstens natürlich weil der Film eben über Baader geht. Zweitens weil sie im Untergrund tatsächlich eher eine Außenseiterrolle gespielt hat. Sie war die bürgerliche Frau, die das alles eigentlich nicht richtig kann, kein Auto knacken, ständig in die Fahndung fährt.
Hat sie wirklich einmal bei einem Bankraub Geld vergessen?

Roth:
Ja ja – die hat ja auch so etwas Vampirhaftes bekommen. Sie ist nur noch nachts rausgegangen. Und es gibt diese Sätze: Ich liebe den Winter, da sind die Tage kürzer, die Nächte lang, sie ist dann sehr depressiv geworden. Und auch ihre Texte sind keine theoretischen Meisterwerke.
Muss man ein bisschen von der realen Geschichte kennen, um den Film zu verstehen?

Roth: Nein. Ich wünsche mir dass man den Film als Film sieht, als “good story”. Und ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn die Leute denken, der ist 1972 erschossen worden. Ich sehe da keine große gesellschaftliche Verantwortung, die Wahrheit zu erzählen.
Der Film ist ja nach der Berlinale noch einmal umgeschnitten worden? Was fehlt, und warum?
Roth: 15 Minuten sind rausgeflogen. Mir war der Film einfach zu lang, nicht irgendwo, sondern insgesamt. Ich mag selten lange Filme, freue mich immer, wenn es nach 90 Minuten vorbei ist. Und der Anfang wucherte etwas, überforderte etwas. Darum ist der einfacher. Beim Rest sind fast keine Szenen rausgeflogen. Aber ich habe nirgendwo auf direkte Kritik reagiert.
Bei der Berlinale ist Ihr Film von vielen kritisiert worden: Im Ausland sind die Reaktionen des Publikums dann begeistert…
Roth: Im Ausland – der Film ist inzwischen in Paris und Edinburgh gelaufen – ist die Reaktion tatsächlich viel differenzierter. Hier dagegen wird der Versuch, aus Baader einen Actionhelden zu machen oder eine Pop-Figur, immer sofort abgelehnt.
Dieser Pop-Begriff ist ja etwas abgedroschen. Was er vor allem besagt: Es ist ein ernstes Thema, darf aber trotzdem Spaß machen…
Roth: Ja. Was Pop glaube ich aber hier auch meint: Baader wollte selbst tatsächlich ein Pop-Held sein. Das war ja das, was ihn ausgemacht hat, warum er die anderen in die Gruppe hineingezogen hat. Denen musste er nicht noch einmal erklären, wie Marxismus-Leninismus funktioniert. Und es gehört eben dazu, dass Baader und Ensslin, kurz bevor sie diese Kaufhäuser angesteckt haben, “Pierrot le Fou” gesehen haben. Und dann Baader gesagt hat: “Ha, war ja nur ein Film, das machen wir selber!”. Und dass sie dann nach Paris gefahren sind, und in der Wohnung von Regis Debray gewohnt haben. Der war damals im Gefängnis, und Baader hat auch immer die Hemden von ihm angezogen. Bei all dem ging es nicht primär ums Revolution-machen, sondern ums verliebt-sein. Aber ich sage ja auch nicht: Das ist alles nur Pop. Ich will vor allem nicht, dass mein Film so eine Eindeutigkeit der Bewertung bekommt – weder ins zu Negative, noch zu Positive. Sondern der Film soll auch meine eigenen Zweifel mitteilt. Ich habe ein Unbehagen gegenüber Authentizität.
Aber Sie haben doch sicher – wenn nicht Antworten – zumindest eine Haltung. Wie sieht die aus?
Roth: Ich habe viele Haltungen.
Ok, aber man wird doch, wenn man einen Film macht, eine Haltung entwickeln müssen. Das heißt ja nicht, dass man megakonsequent sein muss. Aber was ist Ihre Haltung der Realität gegenüber? Was hat Realität für eine Bedeutung für Sie als Filmemacher? Oder ist das vielleicht eine falsche Frage?
Roth: Nein, das finde ich sehr interessant, weil wahrscheinlich Film von allen Kunstarten am genauesten an der Realität gemessen wird. Weil es sie abbildet. Und weil man sofort sieht, wenn etwas nicht stimmt. Das umgehe ich natürlich, weil ich sie nie so darstellen kann, und weil sie dann, wenn es gelingt, wahrscheinlich auch nie so darstellen kann. Man muss immer wieder klarmachen: Das ist eine persönliche Sicht. Und es ist eben Film, und Film trivialisiert. Die Wirklichkeit ist tausendmal komplexer, als das, was ich hier zeige. Aber es ist unmöglich, das Ereignis so zu zeigen, wie es war. Nehmen wir Ridley Scotts neuen Film BLACK HAWK DOWN – den ich hervorragend finde. Weil er als Film die Filmkunst weiterbringt. Diese Authentizität, die will man doch eigentlich gar nicht. Aber es gibt in Deutschland so ein wahnsinniges Verlangen nach “dahinter-gucken”, nach “wirklichem Leben.” Das interessiert mich überhaupt nicht. Tut mir leid. Kino ist Kunst. Und in der Kunst gibt es Lösung, weil es kein Problem gibt.

 

Rüdiger Suchsland, artechock:
Cord, Lippenstift und Tod

Schnelle Bilder, gute Musik. Baader beginnt fast wie eine Dokumentation über das Westdeutschland der sechziger Jahre; Nostalgie mischt sich mit Bitterkeit. »Sie können Deutschland verändern« steht auf Wahlplakaten der FDP. Das ist noch Realität und war doch schon damals Fiktion.

Damals, dass sind die Jahre 1967 – 1972, als sich Andreas Baader und BKA-Chef Horst Herold über den inneren Eisernen Vorhang der Bundesrepublik hinweg ein bizarres Match lieferten, das nach absurden, ganz eigenen Gesetzen gespielt wurde. Aber Christopher Roths Film, der jetzt, pünktlich zum 25 Todestag von Andreas Baader und Gudrun Ensslin in die Kinos kommt, und tatsächlich auch vom Beginn des deutschen Terrorismus erzählt, ist von einer historischen Dokumentation denkbar weit entfernt. Er handelt vielmehr spielerisch genau von jener prekären, allzu oft unklaren Grenze zwischen Fakten und Fiktion, die im deutschen Kino häufig einer falschen Klarheit geopfert wird, die dort zuletzt selten mit derartigen Mut in ihrer ganzen Unklarheit dargestellt wurde.

Es geht weiter, wie im Kino: Nacht, tiefe Züge aus der Zigarette, ein konspiratives Treffen zwischen Jäger und Gejagtem, einmal darf ihre heimliche Nähe offenkundig werden, schon sehr bald wird der eine den anderen zur Strecke bringen – das Leben, ein Gangsterfilm.

Kino-Helden: Sie sehen gut aus, sind gut angezogen, sie schießen und kiffen und denken – und immer für das Gute. Sie verführen, vor allem uns, die Zuschauer im Kinosaal, inbrünstig zelebriert auch Roth am Beispiel des Liebespaares Ensslin/Baader, ihres wilden Lebens im Untergrund diese Kinomythen. »Warum sollen sich Marxisten nicht für Lippenstift und schnelle Autos interessieren, nicht konsumgeil sein?« fragt der Regisseur, »die Ansicht, dass man, wenn man links ist oder andere gute Absichten hat, auch in den allerletzten Klamotten herumlaufen müsste, ist falsch. Die RAF ist von ihrem Stil gar nicht zu trennen.«

Darf man das? Eine zweifellos angreifbare Figur wie Baader zum Film-Helden machen? Eine Geschichte der RAF als Geschichte ihrer Posen, Gesten, Klamotten, Geschlechterbeziehungen darstellen? Man darf, soviel vorweg. Auch Billy the Kid oder Humphrey Bogarts Film-Noir-Detektive waren keine Engel; und Kriterium, ob ein Film gut ist, ist immer noch die Qualität dessen, was auf der Leinwand zu erblicken ist, nicht die sittliche Verfassung der Hauptfigur oder das Gesinnungszeugnis der Macher. Dass man solche Selbstverständlichkeiten überhaupt noch einmal erwähnen muss, liegt daran, dass offenbar nicht alle dieser Ansicht sind. Bei seiner Premiere auf der Berlinale sorgte Baader jedenfalls für einen handfesten Skandal, nur Weniges wurde mit ähnlicher Häme von der Kritik verdammt. Nur schöne Bilder hieß es, was offenbar manche immer noch für einen Vorwurf halten, und in Wahrheit sei alles doch ganz anders gewesen. Aber wer würde Shakespeares »Richard III« oder Ecos »Der Name der Rose« mit Erkenntnissen aus dem historischen Seminar kommen wollen?

Christopher Roths Wahrheit ist eine andere. Der Regisseur, der mit seinem Debütfilm Losers! 1995 ein ganz bemerkenswertes, leider vom Verleih unter Wert herausgebrachtes Gegenstück zu den Üblichkeiten der Beziehungskomödie präsentierte, will etwas spürbar machen vom Lebensgefühl, das intelligente Menschen in den Terrorismus gleiten ließ. Indem er seine Figuren Baader, Ensslin, Meinhof (Frank Giering, Laura Tonke, Birge Schade, allesamt hervorragend) als junge, etwas verwirrte aber nicht grundsätzlich unsympathische Personen vorstellt, Skizzen aus ihrem Leben zeigt, die im Detail erfunden sind, im Grundsätzlichen aber tatsächlichen Ereignissen folgen, lenkt er den Blick auf Überraschendes: Auf einmal entdeckt man, dass diese Kapitalismusfeinde auf schnelle Auto standen und gerne Cordsackos und Sonnenbrillen trugen, ahnt man, dass vielleicht die Posen, die sie sich in Filmen wie Pierrot le fou oder Italo-Western abguckten, für die Geschichte dieser an den Terrorismus verlorenen Kinder des Wirtschaftswunders wichtiger war, als die Lektüre von Marx und Lenin.

Vor zwei Jahren erzählte Andres Veiels Black Box BRD ein Märchen in Form eines Dokumentarfilms. Es handelte von der heimlichen Nähe zwischen dem Deutschen-Bank-Chef Alfred Herrhausen und dem Terroristen Wolfgang Grams, der möglicherweise sein Mörder war. Eine Nähe wird hier insinuiert, eine klammheimliche Gemeinschaft im Außenseitertum, gar in einem persönlichen Idealismus der »Gutes tun« will.

Noch einmal: Um historische Fakten geht es hier nur am Rand. Wonach Baader vielmehr sucht, ist Freiheit. Nicht nur im Umgang mit Figuren und Vergangenheiten, sondern noch viel mehr gegenüber einer Gegenwart aus Sachzwängen und Deutungsmonopolen. Die jungen Helden könnten tatsächlich unter anderen Umständen Künstler oder DJs sein, sie wollen, wenn man ihnen schon nicht gestattet, wirklich mündig und erwachsen zu sein, zumindest einfach spielen, und zwar ihre eigenen Spiele, nach eigenen Regeln nicht die, die von den Animateuren der Spaßgesellschaft vorgegeben werden. Diesen Impuls, den ihm zugrundeliegenden Ennui zeigt Baader gut. Eher muss man ihm vorwerfen, dass er noch nicht weit genug geht.

In seinem Ansatz, seine historischen Figuren ohne Rücksicht auf Fakten und Moral als Material zu begreifen für die Frage, welche Freiheit für den Einzelnen oder eine Gruppe möglich ist in der Welt von heute, steht Baader, Bonnie and Clyde oder Rudolf Thomes wunderbarem Rote Sonne – einem unbewussten Vorgriff auf den Terrorismus, der dessen Scheitern schon enthält – weitaus näher als Veiels bravem und gesinnungstreuem Konsensfilm Black Box BRD: Ein Dissensfilm, der darauf verzichtet, auch noch die RAF historisch einzugemeinden, der daran erinnert, dass Streit und das Offenhalten von Wunden manchmal besser ist, als Versöhnung. Ein mutiger, intelligenter und – nicht zuletzt – unterhaltsamer Film.

Rüdiger Suchsland

 

(…) All das, was wohl auch “geil” war bei jenem Aufbruch, all die Projekte, die Teach-ins und der Lektürewahnsinn jener Zeit, der ja 1968/69 in den rein physischen Zusammenbruch der Akteure der Revolte mündete, für den ja auch Vespers Trip in den Wahnsinn stehen kann, dafür findet Andres Veiel filmisch überhaupt keinen Ausdruck. Kurzum, es fehlt alles, was Christopher Roths “Baader” zu einem großen Wurf machte. Insofern ist auch etwas irritierend, dass Veiels Film, der doch eher ein Fernsehspiel geworden ist, wie “Baader” mit dem Alfred Bauer Preis für neue Perspektiven der Filmkunst ausgezeichnet wurde. Wo Roth durch die Injizierung einer ordentlichen Ladung die Mythenbildung um die RAF aufsprengte, schafft sich Veiel erstaunlich offen ein alter ego…(…)

Ulrich Kriest in der Filmgazette über “Wer wenn nicht wir”  von Andres Veiel

 

Ulrich Kriest Stuttgarter Zeitung

Vom provinziellen Mief der Damals-fast-Dabeigewesenen
Der Regisseur Christopher Roth über seinen Film “Baader”, das Kino als Volkshochschule und die deutsche Provinzialität

Seit “Todesspiel” 1997 glaubte, filmisch Abschließendes zum RAF-Terrorismus formulieren zu können, erlebt dieser ein filmisches Comeback. Eine Reihe von Filmen haben sich seither differenziert der Thematik zugewendet, etwa “Black Box BRD” oder “Starbuck Holger Meins”. Der Regisseur Christopher Roth hat sich nun mit “Baader” auf provozierende Weise ins Zentrum der ersten Generation der RAF gewagt. Am Dienstagabend stellte er sich im “Atelier im Bollwerk” den Fragen des Stuttgarter Publikums. Ulrich Kriest sprach anschließend mit ihm.

Christopher Roth, sie touren gerade mit “Baader” durch die Kinos und stellen sich dem Publikum. Ist das denn immer so wie heute Abend, dass ältere Zeitgenossen sagen: “Das könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen!” und dann ihre Anekdoten auspacken?
Es ist allgemein so, dass die so genannten Zeitzeugen aufstehen und sagen: Da war aber noch unendlich viel mehr! Das war doch ganz anders! Diejenigen, die irritiert sind und die etwas stört, bestimmen die Diskussionen, weil die, die etwas toll finden, schweigen und nach Hause gehen. Interessanterweise reagieren genau die Leute, die “Baader” seine (gar nicht behauptete) Authentizität absprechen, auf die Sexyness seiner Posen. Sie werden im Nachhinein zu stillen Radikalen. Ja, da kann jeder professionell Anekdoten erzählen, wie er beinahe einmal von einem Polizisten an die Wand geschubst wurde. Das war heute Abend zum Glück eher selten. Die Hauptangriffe gegen den Film kommen aus diesem provinziellen Mief der Damals-fast-Dabeigewesenen, aus diesem Klima, das keinen Zauber hat und niemals sexy war. Dieses “klammheimliche Freude”- Gewimmer fand ich immer schon unappetitlich. Mich hat so etwas wie Rasterfahndung immer viel mehr fasziniert.

 

In Interviews halten sie sich mit Erklärungen auffällig zurück, weil der Film selbst dieses Statement sei.

Am liebsten würde ich gar nicht über den Film reden. Aber das wird sofort als Arroganz ausgelegt. Mir geht es bei “Baader” um das Schaffen einer Offenheit, deshalb habe ich in Interviews versucht, mich möglichst indifferent zu äußern. Da ist mir dann vorgehalten worden, ich sei ohne eine Haltung oder eine Position. Die habe ich auch nicht, aber scheinbar muss man viel reden, um zu suggerieren, man habe so was. Ich würde gerne über die Musik in dem Film reden, über die Schauspieler oder über die Filmbilder. Auch gerne über Terrorismus. Aber bitte nicht mehr über den Anteil an Dokumentarismus.

Wie kommt es bei bestimmten Themen zu diesem Volkshochschulanspruch an das Kino?

Die Leute sind von der Offenheit des Films irritiert, die sitzen zwei Stunden im Kino und fragen dann: Was will mir der Film sagen? Dabei ist doch gerade die Offenheit, an der man sich abarbeiten kann, das Spannende an einem Kunstwerk. Vielleicht verstehen sie das später, vielleicht nie.

Ist die semidokumentarische Eröffnungssequenz eine Parodie auf die ganzen Filme zum Thema, denen immer dieselben Montagen zum Thema, gerne unterlegt mit dem reaktionären “Street Fighting Men”, einfallen?

Die ganze Sequenz ist die einzige Sequenz des Films, wo man noch mal 1:1 Bilder sieht, die man schon oft gesehen hat. Es geht darum zu sagen: So weit ist das jetzt noch richtig und jetzt fangen wir mal an, mit den Bildern und Tönen zu spielen. Fassbinder hat mal in den frühen Siebzigern in einem Gangsterfilm mitgespielt, der den Titel “Al Capone im deutschen Wald” trug. Mir schien die RAF in “Baader” wie ein Provinzausgabe der RAF. Naja, wir sind ja auch Provinz, damals noch mehr als heute. Selbst diese unglaubliche Erregung über den Film ist im Endeffekt provinziell.

Kann da nicht auch eine Enttäuschung mitspielen?

Vielleicht eine Enttäuschung darüber, dass die Figur von Baader, so wie die Leute sie im Kopf haben, einfach nicht funktioniert. Dass er etwas Anderes war.

Stuttgarter Zeitung