Mein Vater…

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Mein Vater, meine Nachbarn, meine Freunde und deren Freunde

Benoît Tremsal ist ein wirklich guter Künstler. Angefangen hat er als Musiker, dann ging er in die Kommune. In DIE Kommune. In Otto Mühls aktionsanalytische Organisation. 1978 war das. Jeanne kam 1979 an den Friedrichshof, den Hauptsitz der Kommune im Burgenland. Nicht weit von der ungarischen Grenze. Sie war damals zwei Jahre alt und die Idee war, dass die Kinder ohne ihre Eltern aufwachsen sollten. Benoît und seine damalige Frau Thérèse zogen in Stadtkommunen in Amsterdam und München. Es ging darum die Kleinfamilie zu überwinden. Im Aktionismus sollten Kunst und Leben verschmelzen. In der Aktionsanalyse wurden die Kommunarden zu verdrängten traumatischen Erlebnissen geführt, um sie so zu überwinden. Das geht auf Wilhelm Reich zurück. In der Regression begegnet man zwangsläufig Mama und Papa. Wem sonst? Die Analysen fanden öffentlich statt. Jeden Tag. Das Leben wurde zum Theater. Zweierbeziehungen waren verboten. Sex war erlaubt. Liebe war verboten. Wir haben in diesem Sommer einen Kinofilm über Jeannes Kindheit gedreht. Sie spielt in dem Film ihre eigene Mutter. Wahrscheinlich wird der Film, „Bappa. See you in hell!“ heißen.

Benoît hat 2016 ein Buch über die Kunst in der Kommune veröffentlicht, in dem er sich auch selbst interviewt. Er fragt sich nach seiner Begegnung mit Joseph Beuys und schildert seine Zeit als Baumbotschafter für das 7000-Eichen-Projekt auf der documenta 1982. „Die Einführung von Dimensionen wie Soziales, Zeit, Politik, Wachstum und Ökologie in die Kunst beeindruckte mich nachhaltig.“ Beuys war oft zu Besuch in der Kommune und begleitete das Experiment wohlwollend, während Mühl zwar Beuys huldigte wenn er da war, sich jedoch über dessen Kunst lustig machte, sobald er weg war.

Als Jeanne letztes Jahr erfuhr, dass ihr Vater schwer krank ist, entschied sie sich sofort die Ausstellung zu organisieren.

Aber eben im Zusammenhang mit anderen Künstlern. Der Titel soll alle inhaltlichen Verbindungen auflösen. Als Benoît sich dann entschied Baum-Arbeiten zu zeigen, wurden Bäume zum größten gemeinsamen Nenner in der Ausstellung. Benoîts Baum-Arbeiten sind aus MDF-Abfall gemacht, hier schließt sich wie so oft in seiner Arbeit ein Kreis. „Möglichst wenig soll verloren gehen,“ ist der erste Satz eines Katalogtextes von Jürgen Röhrig zu Benoîts Arbeit. Und es sind diese sich schließenden Kreise, ohne Anfang und Ende oder mit ganz vielen Anfängen aber ohne Enden, die seine Arbeit für mich so aktuell machen. „Soziales, Zeit, Politik, Wachstum und Ökologie“, überall suchen wir nach sich-selbst-erhaltenden (kybernetischen) Schleifen, die lernen. Wo der Baum immer wieder Baum wird.

Wo es um Bäume und Holzwege geht, darf Martin Heidegger nicht fehlen.In einem 1966 geführten und 1976 postum veröffentlichten SPIEGEL-Interview, hat er auf die Frage, „Und wer nimmt den Platz der Philosophie jetzt ein?“ geantwortet: „Die Kybernetik.“

Christopher Roth, November 2020

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Christopher Roth

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Benoît Tremsal

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Björn Dahlem, Christopher Roth, Angela Bulloch, Isa Melsheimer, Lisa Seebach, Paul Hance

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Angela Bulloch, Isa Melsheimer, Lisa Seebach, Paul Hance

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Manfred Holtfrerich, Angela Bulloch, Isa Melsheimer, Lisa Seebach, Paul Hance

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Aylin Langreuter, terra0

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Benoît Tremsal, Aylin Langreuter

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Reena Saini Kallat, Benoît Tremsal, Aylin Langreuter

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Benoît Tremsal, Albert Oehlen